Berlin. Wirtschaftsweise Schnitzer fordert „großzügige Ausnahmen“ beim Heizungsgesetz – und überrascht mit einem Vorschlag zum Energiesparen.

  • Die Wirtschaftsweisen sollen der Bundesregierung mit ökonomischen Sachverstand zur Seite stehen
  • Dazu gehört auch Monika Schnitzer, die zu den bekanntesten Wirtschaftswissenschaftlerinnen des Landes gezählt werden kann
  • Im Interview spricht sie über das Heizungsgesetz und hat einen überraschenden Tipp für Verbraucher

Die Chefin des wichtigsten Wirtschaftsberatergremiums von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schaltet sich in den Streit um das Heizungsgesetz ein: Ökonomin Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats – der sogenannten Wirtschaftsweisen – kritisiert die Uneinigkeit innerhalb der Ampel-Koalition und sagt, worauf es bei dem umstrittenen Vorhaben jetzt ankommt. Lesen Sie hier: Energieberater seziert mein Elternhaus - Kosten für Sanierung sorgen für Entsetzen

Das Heizungsgesetz verzögert sich. Sind Sie enttäuscht?

Monika Schnitzer: Es ist enttäuschend, dass der Weg zu diesem Gesetz mit so viel Streit verbunden ist. Der Gebäudesektor macht einen sehr großen Anteil an den CO2-Emissionen aus. Es ist ganz wichtig, dass da was passiert. Das ist in den letzten Jahren nicht energisch genug angegangen worden. Daher müssen wir schnell Klarheit schaffen, was genau passieren soll, gerade mit Blick auf Ausnahme- und Übergangsregelungen.

Wirtschaftsminister Habeck will das Gesetz nun entschärfen - und die neuen Regeln zunächst nur für Neubauten einführen.

Schnitzer: Eine Heizung läuft 30 oder 40 Jahre. Jetzt noch in alte Technologien zu investieren, ist nicht sinnvoll, schon gar nicht in Neubauten. Bei Bestandsbauten kann die Umstellung zu Härten führen. Darauf Rücksicht zu nehmen durch Ausnahme- und Härteregeln, halte ich für sinnvoll.

Gelingt die Wärmewende nur mit Verboten?

Schnitzer: Es ist immer toll, wenn man Veränderungen über Anreize hinbekommt. Aber wenn man den Anreiz zum Einbau einer klimafreundlichen Heizung jetzt schon geben will, muss man den CO2-Preis in kurzer Zeit massiv heben – und das mitten in der Energiekrise. Das wäre politisch nicht klug und gesellschaftlich nicht umsetzbar. Und es würde unnötig auch Haushalte belasten, deren Heizung noch nicht so alt ist. Die Herausforderungen sind so groß, dass wir ein klares Signal brauchen: mit einem Verbot – und entsprechenden Ausnahmen.

Monika Schnitzer gehört dem Sachverständigenrat seit 2020 an und hat seit Oktober 2022 den Vorsitz inne. Zudem ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Monika Schnitzer gehört dem Sachverständigenrat seit 2020 an und hat seit Oktober 2022 den Vorsitz inne. Zudem ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. © imago/IPON | IMAGO/Stefan Boness/Ipon

Welche Ausnahmen fordern Sie?

Schnitzer: Ich würde großzügig Ausnahmen zulassen – nicht nur für über 80-Jährige. Wenn der Einbau einer klimafreundlichen Heizung nur mit enormen Investitionen möglich wäre, weil das Haus alt und schlecht gedämmt ist und vieles drumherum auch noch gemacht werden müsste, sollte man ihn nicht erzwingen. Da müssten Härtefall-Regelungen greifen, über die auf Antrag im Einzelfall entschieden wird. Niemand darf in den Ruin getrieben werden.

Wie hoch soll die Förderung für den Einbau einer klimafreundlichen Heizung ausfallen?

Schnitzer: Die Förderung sollte nach Einkommen gestaffelt werden – und das pragmatisch. Diejenigen mit einem niedrigen Einkommen sollten stark gefördert werden, und wer ein hohes Einkommen hat, sollte weniger Unterstützung bekommen. Auf eine genaue Größenordnung möchte ich mich nicht festlegen.

Die Einstufung sollte nach dem Einkommensteuerbescheid erfolgen, ein Vermögensnachweis würde zu viel Bürokratie bringen. Ein zweites halte ich für wichtig: Die Förderung sollte hoch anfangen und jedes Jahr gesenkt werden. Dann wird neben dem steigenden CO2-Preis ein weiterer Anreiz geschaffen, die Heizung schnell zu tauschen.

Woher soll das Geld für die ganzen Subventionen kommen?

Schnitzer: Ich halte es für sinnvoll, Geld für etwas wirklich Zukunftsgerichtetes auszugeben. Besser, man investiert in Heizungstausch und Wärmedämmung als in teure Gasimporte – auch wenn das auf Pump geschieht. Möglicherweise kann das Geld aus dem 200-Milliarden-Paket kommen, das für die Gaspreisbremse geschnürt wurde.

Wie denken Sie über das Vorhaben von Wirtschaftsminister Habeck, der Industrie mit günstigem Strom zu helfen?

Schnitzer: Ich halte den geplanten Industriestrompreis für heikel. Energiepreise sind wichtig, aber nur einer von vielen Standortfaktoren. Bisher sind die Unternehmen mit den hohen Energiepreisen in Deutschland zurechtgekommen.

Dass sich wesentliche Teile der Industrie ins Ausland verabschieden, fürchten Sie nicht?

Schnitzer: Es stimmt, dass die energieintensiven Unternehmen gerade jetzt in dieser Krise besonders hart getroffen sind durch die steigenden Preise für fossile Energieträger. Daher war es richtig, kurzfristig zu helfen. Auf Dauer können sich die Unternehmen aber umstellen.

Wenn wir jetzt die Strompreise nicht massiv subventionieren, wird es einen Strukturwandel geben, ja – aber das ist an sich nicht schlecht. Deshalb wird nicht die ganze Industrie abwandern. Und wenn die besonders energieintensiven Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, würde das unsere Wertschöpfung nicht entscheidend mindern. Das können wir verkraften.

Wirklich?

Schnitzer: Die Ölpreiskrise in den 1970er Jahren ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Industrie sich umstellen kann. In Japan beispielsweise hat damals die Petrochemie-Industrie abgenommen und die Automobil- und Elektroindustrie zugelegt. Es sind alte Arbeitsplätze verloren gegangen, aber neue entstanden.

Wenn man immer nur versucht, die aktuelle Wirtschaftsstruktur zu erhalten, ist das nicht sehr zukunftsgerichtet. Wir sollten uns auf die Herstellung hochwertiger Produkte konzentrieren – und nicht um jeden Preis die Grundstoffindustrie erhalten. Wir müssen in Deutschland nicht unbedingt Ammoniak produzieren.

Ist Deutschland gerüstet für den nächsten Winter? Reichen die Gasspeicher und Flüssiggasterminals, um eine Notlage abzuwenden?

Schnitzer: Wir haben jetzt von dem milden Winter profitiert. Die Versorgungslage wird besser mit den neuen Flüssiggasterminals. Trotzdem müssen Haushalte und Unternehmen weiter sparen.

Genauso stark wie im ersten Winter ohne russisches Gas?

Schnitzer: Ja, davon gehe ich aus.

Kann es wieder Verbote geben – etwa zum Beheizen privater Pools?

Schnitzer: Das ist nicht auszuschließen. Es ist von Anfang an kommuniziert worden, dass wir zwei Winter vor uns haben, die schwierig werden. Im Frühjahr und Sommer haben wir aber ein anderes Thema.

In Wilhelmshaven ist bereits ein LNG-Terminal im Einsatz. Trotz der Flüssiggasterminals rät die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer zum Energiesparen.
In Wilhelmshaven ist bereits ein LNG-Terminal im Einsatz. Trotz der Flüssiggasterminals rät die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer zum Energiesparen. © dpa | Sina Schuldt

Und zwar?

Schnitzer: Die Menschen sollten jetzt schauen, wie sie ihre Häuser und Wohnungen dämmen können – auch mit Blick auf das Heizungsgesetz. Für Haushalte geht es darum, energieeffizienter zu werden. Es könnte sich lohnen, in diesem Sommer in eine neue Tiefkühltruhe zu investieren, die nicht so viel Strom verbraucht. Klug wäre, alle Geräte im Haushalt auf ihre Effizienz zu überprüfen und im Zweifel auszutauschen. So kann man auch Kosten sparen.

Die ärmsten Menschen wohnen in den am schlechtesten gedämmten Häusern. Was tun?

Schnitzer: Die alten Häuser sind eine große soziale Herausforderung. Wenn es um Dämmung geht, sollte der Staat armen Familien mit substantiellen Subventionen helfen.