Unternehmen, die Umweltkatastrophen verursachen, überstehen diese meist ohne großen Schaden. Im Fall BP dürfte es anders laufen.

Hamburg. Das Drama ist ohne Vorbild. Seit mehr als sechs Wochen ergießt sich nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" aus einer havarierten Quelle Öl in den Golf von Mexiko. Das ist bislang etwa die Ladung eines großen Tankers. Tag für Tag kommen rund drei Millionen Liter hinzu. Die internationalen Medien beobachten BP, einen der führenden Energiekonzerne der Welt, bei seinen bislang erfolglosen Versuchen, das Leck abzudichten. Im Video auf der Internetseite des britischen Unternehmens läuft das Öl live in 1500 Meter Tiefe ins Meer. Bald beginnt im Süden der USA die Hurrikan-Saison. Dann droht den Vereinigten Staaten die größte Umweltkatastrophe ihrer Geschichte.

Das Öldesaster im Golf ist anders als frühere Unglücke in der Öl- oder der Chemieindustrie. Die Ölteppiche entfalten ihre tödliche Gefahr unter den Augen der Weltöffentlichkeit, und sie werden immer größer. BP arbeitet zwar weiterhin unter Hochdruck daran, das Leck abzudichten. Doch längst hat das Unternehmen seine Bankrotterklärung formuliert: "Es ist ohne Zweifel klar, dass wir nicht die Werkzeuge hatten, die man in seinem Werkzeugkasten haben will", sagte Konzernchef Tony Hayward der "Financial Times".

Der ökologische Schaden für die USA wie auch der Imageschaden für den Konzern werden mit jedem Tag größer. Im Golf von Mexiko bohren BP und andere Unternehmen längst Öl- und Gasvorkommen in noch tieferen Meeresgegenden an. Doch nicht einmal für die Bekämpfung einer undichten Quelle in 1500 Meter Tiefe reicht die technische Expertise des Unternehmens und seiner Zulieferer aus.

Es wird lange Zeit dauern, bis sich BP von diesem Schaden erholt, wenn es dem Konzern überhaupt gelingt. Der Börsenwert des Unternehmens sank seit der Explosion der Bohrinsel um 70 Milliarden Dollar auf rund 140 Milliarden Dollar. "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass BP jetzt zu einem Übernahmekandidaten wird", sagt die Umweltökonomin Professor Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Die Ratingagentur Fitch senkte gestern die Kreditwürdigkeit von BP von AA+ auf AA, Moody's setzte BP von Aa1 auf Aa2.

Wie viel Geld die Rettungs- und Säuberungsarbeiten sowie die Strafzahlungen BP kosten werden, weiß niemand. Die Analysten der Bank Credit Suisse halten Gesamtkosten von bis zu 37 Milliarden Dollar für möglich. Die große Unbekannte ist die Höhe der Entschädigungszahlungen. Dem Unternehmen drohen etliche Klagen. "Von Jetski-Verleihern bis hin zu Kreuzfahrtanbietern - alle entlang der Küste vertretenen Unternehmen werden klagen", sagt der US-Anwalt Fred Kuffler. Hinzu kommen all jene Fischer oder Austernverarbeiter im Süden der USA, deren Existenz nun ruiniert ist.

Die Dimensionen des ökologischen und wirtschaftlichen Schadens unterscheiden den Fall von fast allen anderen Umweltkatastrophen der vergangenen Jahrzehnte, mit Ausnahme vielleicht der Reaktorhavarie von Tschernobyl und des Chemieunglücks von Bhopal. Zumeist kamen die verantwortlichen Unternehmen glimpflich davon.

Im Jahr 1976 verseuchte der Chemikalienhersteller Icmesa im italienischen Seveso seine Umgebung mit dem Ultragift Dioxin, das in der Chlorchemie entsteht. Bilder der Menschen, die von Chlorakne entstellt waren, gingen um die Welt. Wie viele Arbeiter und Anwohner letztlich an den Vergiftungen starben, blieb ungewiss. Icmesa gehörte über ein Tochterunternehmen zum Pharmakonzern Roche. Dessen Führung versuchte zunächst, die Ursachen zu vertuschen und Verbindungen zu Roche zu verbergen. Heutzutage ist Roche eines der renommiertesten Pharmaunternehmen der Welt.

In Hamburg wurden Arbeiter eines Tochterunternehmens von Boehringer Ingelheim bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln mit Dioxin verseucht. Viele von ihnen starben an Krebs. Das Werksgelände musste aufwendig saniert werden. Boehringers Existenz tastete das nicht an. Es ist heute das größte forschende Pharmaunternehmen in Deutschland.

Mit Vertuschung, Gerichtsverfahren oder Verdrängung versuchen Unternehmen den Makel von Umweltdesastern zu überdecken. "Das Problem im Sinne von Strafen und Entschädigungen ist, dass es kein Schema für Umweltkatastrophen gibt", sagt der Hamburger Wirtschaftsprofessor Karl-Werner Hansmann. "Der Fall BP zeigt aber wieder einmal, dass bei der Verseuchung der Umwelt das Risiko immer auf die Öffentlichkeit verteilt wird. Der Untergang eines Unternehmens wie BP würde den Schaden ja letztlich noch größer machen - denn dann sänken die Chancen auf Wiedergutmachung."

Das Ringen um Entschädigungen ist für die Opfer auch dann quälend, wenn das Unternehmen bestehen bleibt. Im Jahr 1984 trat in einem Chemiewerk des US-Unternehmens Union Carbide im indischen Bhopal hochgiftiges Methylisocyanat aus, mindestens 16 000 Menschen wurden getötet und bis zu 500 000 verletzt. Das Unternehmen schürte anschließend beharrlich den Verdacht, es sei Opfer eines Sabotageaktes geworden. Jahrelange Prozesse folgten, das Unternehmen aber überlebte die Katastrophe. 2001 übernahm Dow Chemical Union Carbide.

Die meiste Erfahrung mit Umweltkatastrophen besitzt die Ölbranche. 1989 lief im Prinz-William-Sund in Alaska der Supertanker "Exxon Valdez" auf ein Riff, 40 000 Tonnen Rohöl traten aus. Der alkoholkranke Kapitän John Hazelwood befand sich während des Unglücks nicht auf der Brücke. Mehr als 10 000 Menschen beschäftigte Exxon bei den Reinigungsarbeiten, doch bis heute ist das Öl in der Region nicht gänzlich abgebaut. Der Konzern zahlte einige Milliarden Dollar für Sanierungen, Strafen und Entschädigungen. Allerdings konnte Exxon einen Teil der Kosten abschreiben. Gegen die Höhe der Strafzahlungen klagte das Unternehmen jahrelang erfolgreich. Nach dem Desaster baute Exxon seine Position als führendes privatwirtschaftliches Energieunternehmen weiter aus. Im Jahr 2008 machte der Konzern 45 Milliarden Dollar Gewinn, 2009 trotz Wirtschaftskrise 19 Milliarden Dollar.

BP wiederum war in den USA bereits 2005 in die Schlagzeilen geraten. In Texas City war eine Raffinerie des Konzerns explodiert, 15 Arbeiter starben. Der Konzern hatte jahrelang die Sicherheitsvorkehrungen der vom Konkurrenten Amoco übernommenen Anlage vernachlässigt. In Alaska verseuchte Anfang 2006 Öl aus undichten BP-Pipelines die Umwelt. Aus der damaligen Lage ging der Konzern weitgehend unbeschädigt hervor und stieg zum größten Ölförderer im Golf von Mexiko auf. Dieses Mal dürften die Folgen BP länger beschäftigen.