Der “Engel mit den Eisaugen“ ist nach seinem spektakulären Freispruch im Mordfall von Perugia in seine Heimat nach Seattle zurückgekehrt. Der verdächtige Ivorer Rudy Guede sitzt derweil weiter im Gefängnis.

Perugia. Fast vier Jahre lang wurde Amanda Knox verdächtigt, in Perugia in Italien ihre britische Mitbewohnerin Meredith Kercher umgebracht zu haben. Zuerst war die 24-jährige US-Studentin in Italien wegen Mordes verurteilt worden. Am 3. Oktober wurde der "Engel mit den Eisaugen" in der Berufung von den schwerwiegenden Vorwürfen freigesprochen. Am Dienstagabend (Ortszeit) kehrte Knox in ihre Heimat nach Seattle zurück.

In Begleitung ihrer Eltern traf die 24-Jährige auf dem Flughafen in Seattle (US-Bundesstaat Washington) ein. Dort wurde die zu Tränen gerührte junge Frau von Familie und Freunden stürmisch in Empfang genommen. Sie wolle sich bei allen bedanken, "die an mich glaubten, mich verteidigten und meine Familie unterstützen“, sagte Knox in einer kurzen Ansprache am Flughafen. Ihre Ankunft in Seattle wurde von US-Sendern Live übertragen.

Nach dem spektakulären Freispruch der US-Studentin sitzt der einst in Rheinland-Pfalz festgenommene Ivorer Rudy Guede dagegen weiterhin in Italien im Gefängnis. Nach dem Urteil des Geschworenengerichts ist wieder völlig offen, wem Guede beim Mord an der Studentin Meredith Kercher geholfen hat.

Der in zweiter Instanz verurteilte Ivorer sitzt wegen Beihilfe an dem Verbrechen während einer angeblichen Sex- und Drogenparty hinter Gittern. Die Suche nach Schuldigen müsste nun neu beginnen. Guedes Anwälte äußerten sich vorerst nicht zu dem Freispruch in zweiter Instanz von Knox und ihrem Ex-Freund Raffaele Sollecito. Sie könnten aber nach Medienberichten versuchen, einen Rekurs durchzubringen.

Der nach dem Mord geflohene Guede war am 20. November 2007 als Schwarzfahrer in einem Zug von Koblenz nach Mainz festgenommen und später nach Italien ausgeliefert worden.

In der Nacht zum 2. November 2007 war die britische Austauschstudentin Kercher mit durchschnittener Kehle, vergewaltigt, halbnackt und von Messerstichen übersät in ihrer und Knox' gemeinsamer Wohnung in Perugia gefunden worden.

Die Staatsanwälte wollen im Fall Knox beim Kassationsgerichtshof, der dritten und letzten Gerichtsinstanz in Italien, in Berufung gehen. Bis zur Entscheidung des Gerichts dürften allerdings noch Monate vergehen. Doch selbst wenn der Prozess in Perugia noch einmal aufgerollt werden sollte: Amanda Knox dürfte dazu kaum freiwillig aus den USA nach Italien zurückkehren.

Der Verteidigung war es im Berufungsverfahren gelungen, Lücken und Widersprüche der Ermittlungen aufzudecken, vor allem bei angeblichen DNA-Beweisen. Nach Auffassung der ersten Instanz hatten Knox und Sollecito sie bei Sexspielen getötet. Sie saßen jahrelang im Gefängnis.

Der Fall Meredith Kercher - eine Chronologie:

2. November 2007: Die Leiche Kerchers wird in ihrem Zimmer in der Wohnung in Perugia gefunden. Den Ermittlern zufolge wurde die 21-Jährige am Vorabend getötet.

6. November 2007: Knox und ihr damaliger Freund Raffaele Sollecito werden verhaftet, ebenso Diya „Patrick“ Lumumba. Der aus dem Kongo stammende Mann besitzt ein Lokal, in dem Knox gelegentlich gearbeitet hat.

20. November 2007: Lumumba, den Knox in ihren Aussagen bei der Polizei beschuldigt hatte, wird aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt.

6. Dezember 2007: Der Ivorer Rudy Hermann Guede wird in Deutschland festgenommen und nach Italien ausgeliefert und inhaftiert.

14. Dezember 2007: Kercher wird in London beigesetzt.

28. Oktober 2008: Gegen Knox und Sollecito wird Anklage wegen Mordes und sexueller Nötigung erhoben. Guede bekam ein Schnellverfahren, wurde in beiden Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu 30 Jahren Haft verurteilt.

16. Januar 2009: In Perugia beginnt der Prozess gegen Knox und Sollecito.

12. Juni 2009: Knox sagt aus. Sie äußert sich schockiert über Kerchers Tod, bringt ein Alibi vor und erklärt, von der Polizei mit Schlägen zu einer Falschaussage gebracht worden zu sein.

4. Dezember 2009: Das Gericht spricht Knox des Mordes und der sexuellen Nötigung schuldig und verurteilt sie zu 26 Jahren Haft. Sollecito wird ebenfalls schuldig gesprochen und zu 25 Jahren verurteilt.

22. Dezember 2009: Das Berufungsgericht bestätigt den Schuldspruch Guedes, setzt aber das Strafmaß auf 16 Jahre herab.

8. November 2010: Knox wird der Verleumdung angeklagt, weil sie behauptete, von der Polizei geschlagen worden zu sein.

24. November 2010: In Perugia beginnt der Berufungsprozess gegen Knox und Sollecito.

16. Dezember 2010: Die Verurteilung Guedes wird vom obersten Strafgericht Italiens bestätigt.

29. Juni 2011: Forensische Gutachten im Berufungsprozess ergeben, dass etliche DNA-Spuren, auf die sich die Verurteilung stützte, nicht beweiskräftig sind.

3. Oktober 2011: Knox und Sollecito werden in der Berufungsinstanz freigesprochen und aus der Haft entlassen.

4. Oktober 2011: Knox tritt den Heimflug in die USA an. Der Staatsanwalt sagt, er wolle den Freispruch anfechten.

(dpa/dapd)