Nach siebeneinhalb Jahren trat St. Paulis Präsident zurück. Er hat das sinkende Schiff wieder flottgemacht. Eine Hamburger Erfolgsgeschichte.

Hamburg. Vielleicht muss man mit dieser Geschichte anfangen. Corny Littmann hat sie einmal eher beiläufig erzählt. Es war Anfang des Jahres 2004, und Littmann war gerade ein Jahr Präsident des FC St. Pauli, als er feststellte, dass der notorisch klamme Klub, der damals in der 3. Liga gegen Lübeck und Wuppertal kickte, pro Spiel 1000 (!) Ehrenkarten verteilt hat. Was tun? "Ich habe das Kontingent sofort halbiert - da haben Sie auf einen Schlag 500 Freunde mehr", sagte Littmann. Und grinste.

Gestern ist Cornelius Littmann als Präsident zurückgetreten. Der Kiezklub ist jetzt in der 1. Liga und hat Aussicht auf viel frisches Geld und Spiele gegen Bayern und den HSV. Doch wenn sich damals nicht nur 500 verärgerte Tribünenbesucher, sondern auch der gesamte Aufsichtsrat und geschätzt die Hälfte der Mitglieder gefragt haben, ob Littmann für den Verein eher Fluch oder Segen ist, lautet die Antwort nach dem gestrigen Paukenschlag: Zwar haben viele den Theatermann während seiner siebeneinhalbjährigen Amtszeit verflucht, aber schlussendlich war der unbequeme Kreative für den Kiezklub ein Segen. War zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Ohne Angst vor jeder noch so großen Konfrontation. Und wahrscheinlich der ungewöhnlichste Präsident, den ein Profiverein in Deutschland bisher erlebt hat.

Als Littmann im Februar 2003 die braun-weiße Fußball-Bühne betrat, überwog die Skepsis. Klar, der bekennende Schwule war erfolgreicher Geschäftsmann und 1999 in Hamburg zum "Unternehmer des Jahres" gekürt worden. Er hatte glänzende Kontakte, kurze Wege ins Rathaus, ein Faible für Inszenierungen und am 8.8.1988 um 8.08 Uhr das "Schmidt-Theater" auf der Reeperbahn eröffnet. Drei Jahre später folgte das "Schmidts Tivoli", bis heute eine Erfolgsgeschichte, die ohne jegliche Staatsknete möglich ist. Aber ein Fußballverein ist kein Theater - obwohl?

Littmann selbst hat das wilde Treiben bei St. Pauli einmal als "absurdes Theater" bezeichnet. Das war im März 2007, und da ging es am Millerntor, wo sich über Jahrzehnte auch regelmäßig die Gerichtsvollzieher als treue Besucher einfanden, gerade wieder einmal drunter und drüber. Das Stadion hatte ein "Littmann-Loch" und die weltweit einmalige Form eines Hufeisens, weil der Präsident einfach die Südtribüne hatte abreißen lassen - bevor die Finanzierung des Neubaus stand.

Einen Monat zuvor war Littmann von seinem Amt zurückgetreten, hatte dann aber per Eingabe vor Gericht seinen Rücktritt als gegenstandslos erklärt, wogegen der Aufsichtsrat wiederum geklagt hatte. Es ging um Satzungsverstöße und dubiose Rechnungen, aber vor allem ging es um die Selbstherrlichkeit eines Vorturners, den seine Gegner damals als "Sonnenkönig" bezeichneten. Einer, der posiert und polarisiert. Der die Bühne sucht und wohl auch braucht. Ein Alleinunterhalter? "Ich stehe immer im Kollektiv auf der Bühne", hat Littmann gesagt. "Es gibt kein Soloprogramm von mir."

Und doch wäre der Verein ohne Littmann niemals da, wo er heute steht. Er hat dem Klub mit 400 000 Euro aus der eigenen Tasche aus der Patsche geholfen. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Retter-Kampagne. 140 000 T-Shirts spülten 900 000 Euro in die Kassen, Bayern München kam für lau zum Benefizspiel beim Weltpokalsiegerbesieger an die Elbe.

Unter Littmann, und das ist vielleicht sein größtes Verdienst - und der große Unterschied zum HSV -, ist mittlerweile eine kompetente Crew aus lauter Ehemaligen wieder am Ruder. Stanislawski und Trulsen, Schulte und Studer, Nemet und Philipkowski, Großkopf und Dahms - auf allen Ebenen wirken leidenschaftliche St. Paulianer.

Sie alle werden ihren Kapitän, der den Stadionneubau im Gegensatz zu seinen Vorgängern wirklich realisiert und das Schiff bestiegen hat, als es zu sinken drohte, vermissen. Es ist noch nicht lange her, da haben ihm Aufsichtsratskollegen vorgeworfen, beratungsresistent zu sein. Und "wenn man ihn kritisiert hat, war man sein Feind". Littmann hat sich davon nicht beirren lassen. Er hat sich gestern "ausdrücklich bei denen bedankt, die mich kritisiert haben". Einiges sei unter der Gürtellinie gewesen, "das meiste aber war konstruktive Kritik".

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Nun ist zum einen auch Littmann im Austeilen nicht zimperlich. Und auch die Bereiche unter der Gürtellinie sind ihm, schon allein aufgrund seines humoristischen Wirkens auf der Bühne, nicht wirklich fremd. Aber vor allem hat er sich nie von seinem Weg abbringen lassen.

Und nun? Ist das Stehaufmännchen, das sich in den letzten Erfolgsmonaten wohltuend zurückgehalten hat, müde geworden? "Zu diesem Schritt hat mir keiner geraten", sagte der 57-Jährige gestern. "Ich habe diese Entscheidung ganz alleine getroffen." Endgültig klar wäre es für ihn mit dem Schlusspfiff in Fürth gewesen. "Da war es definitiv: Wir haben den Aufstieg geschafft. Und das war der Moment, an dem nicht nur ich gedacht habe: mehr geht nicht!"

Littmann las seine Erklärung ab. Der Meister des improvisierten Wortes hielt sich an seinem Manuskript fest. Jeder Satz war ihm wichtig, die Stimme manchmal brüchig. Und er leistete sich "einen letzten Regelverstoß, weil Alkohol auf Pressekonferenzen ja verboten ist", als er den Journalisten eine Zwölfliterflasche Schampus spendierte. Als sie mit einem Knall geöffnet wurde, war Littmann bereits verschwunden.