Nach siebeneinhalb Jahren hört die St.-Pauli-Ikone auf. Er will dem FC St. Pauli jedoch als Geschäftsführer der Service GmbH erhalten bleiben.

Hamburg. Corny Littmann ist als Präsident des FC St. Pauli zurückgetreten. Zehn Tage nach dem Aufstieg in die Fußball-Bundesliga verkündete der 57 Jahre alte Hamburger Theaterchef seinen Rückzug. „Zu diesem Schritt hat mir keiner geraten, geschweige denn hat mich einer dazu gedrängt. Ich habe diese Entscheidung ganz alleine getroffen“, sagte Littmann, der mit dem Bundesliga-Aufstieg seine Mission erfüllt sieht. Der bisherige Clubchef will dem FC St. Pauli jedoch als Geschäftsführer der Service GmbH erhalten bleiben. Littmann hatte das Präsidenten-Amt im Dezember 2002 übernommen und war bis November 2011 gewählt.

PORTRÄT CORNY LITTMANN

Littmanns Rede im Wortlaut: "Endgültig klar war diese Entscheidung für mich mit dem Schlusspfiff in Fürth. Da war es definitiv: Wir haben den Aufstieg in die Bundesliga geschafft. Und das war der Moment, an dem nicht nur ich gedacht habe: mehr geht nicht!

Am 4. Dezember 2002, vor ziemlich genau siebeneinhalb Jahren, habe ich das Ruder eines reichlich ramponierten Schiffs übernommen. Die großen Lecks konnten wir, das Präsidium, nur mit der bundesweiten Unterstützung unserer Fans und Mitglieder stopfen und beim vierjährigen Schippern über die Elbe war unser Kutter des Öfteren kurz vor dem Absaufen.

Heute liegt da im Hafen ein prachtvolles Piratenschiff, bereit in See zu stechen und in der Lage, allen Stürmen zu trotzen und Punkte zu erobern. Das war immer mein Traum, so wollte ich das Schiff dem nächsten Kapitän übergeben. Auf dem Höhepunkt.

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich in den vergangenen siebeneinhalb Jahren öfter daran gedacht habe, alles hinzuschmeißen. Aber das ist gerade in schwierigen Zeiten – wie wir sie ja alle miterlebt haben – so ganz und gar nicht meine Art. Gerade in Krisensituationen bin ich ein sturer Bock.

Ich habe mir immer gesagt: Wenn ich eines Tages nicht mehr gewollt werde – ok. Freiwillig wollte ich dann gehen, wenn ich bleiben kann. Bleiben als ein gern gesehener Gast an einem Spieltag im Stadion. Und gehen nur dann, wenn es dem Verein gut geht. Beides ist gegeben: Ich kann als Gast bleiben und dem FC St. Pauli geht es so gut wie lange nicht mehr. Also gehe ich.

Ich gehe nur als Präsident, ich stehle mich nicht klammheimlich davon. Selbstverständlich stehe ich – wo immer es gewünscht wird – auch in Zukunft dem Verein und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite. Und dass ich im Herzen immer St. Paulianer bleibe, versteht sich von selbst.

Wohin ich in Zukunft gehe, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht unter Beschäftigungsmangel leide, ahne ich aber doch, dass mir das Amt des Präsidenten auch fehlen wird. Die Leere oder besser die Leerstelle, die da in nächster Zeit auf mich zukommt, ist eine neue Herausforderung. Die macht mir gleichermaßen Angst wie Vorfreude auf die Mehr-Zeit, die ich jetzt haben werde.

Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder betont, dass Kontinuität ein wichtiger Schlüssel für unseren Erfolg in allen Bereichen war und ist. Ich bin deshalb sehr froh, dass meine vier Kollegen, ich sollte besser sagen meine vier Freunde im Präsidium, Stefan Orth, Marcus Schulz, Bernd-Georg Spieß und Gernot Stenger, die erfolgreiche Arbeit des Präsidiums fortsetzen wollen. Ich habe unserem Aufsichtsratvorsitzenden Michael Burmester heute früh schriftlich meinen Rücktritt erklärt und die satzungsgemäße Wahl eines Nachfolgers sollte nicht schwer fallen, denn in aller Bescheidenheit: Bessere Vizepräsidenten als zur Zeit hatte der FC St. Pauli, wenn überhaupt, nur selten. Noch wichtiger als die Nachfolgefrage ist aber, dass der FC St. Pauli ein entscheidungsfähiges und –freudiges Präsidium hat, dass im übrigen hervorragend mit unserem Aufsichtsrat zusammenarbeitet.

VEREIN DISKUTIERT NACHFOLGE LITTMANNS

Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, all meinen Präsidiumskollegen und den Aufsichtsräten der vergangenen Jahre für ihre ehrenamtliche Arbeit zu danken. Und ich möchte auch all denen danken, die mich mit oder ohne Funktion in meiner Tätigkeit als Präsident und den Verein in den vergangenen Jahren unterstützt haben. Besonderer Dank gilt Michael Meeske, Susanne Lyss, Christian Bönig, Torsten Vierkant, Wolfgang Helbing und natürlich Dagmar Gebhardt und Benny Bendel, mit letzteren beiden werde ich auch weiter in der Service GmbH zusammenarbeiten dürfen.

Dieser Dank gilt im Übrigen auch ausdrücklich denen, die mich kritisiert haben. Einiges war unter der Gürtellinie, das meiste war konstruktive Kritik. Die habe ich immer geschätzt, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit den Kritikern war. Und Kritik gehört unbedingt zum FC St. Pauli, das hält unseren Verein lebendig und macht ihn so liebenswert.

Mein ganz besonderer Dank gilt Holger Stanislawski und Helmut Schulte und dass nicht nur wegen ihrer großen Verdienste in den jüngeren Vergangenheit. Mit beiden ist ein freundschaftliches Verhältnis entstanden und das – da bin ich mir sicher – bleibt nicht nur, sondern wird noch herzlicher, weil ich ab sofort nur noch Freund sein kann und nicht mehr auch noch Arbeitgeber sein muss.

Und natürlich gibt es viele Momente, die mir in steter Erinnerung bleiben werden. Einen der bewegendsten Momente in meiner Amtszeit möchte ich Euch nicht vorenthalten: Die neue Südtribüne war gerade fertiggestellt und ich machte mit und für 20 unserer ältesten Mitglieder, den Alten Stamm, eine Stadionführung. Am Ende der Führung standen wir alle ganz oben im 4. Stock vor einem Séparée im Stadion. Und dieses Bild von den staunenden und glücklichen alten Männern, die es nicht fassen konnten, dass nach so langer Zeit endlich ein Traum wahr geworden war und dass sie das noch erleben durften. Dieses Bild werde ich nie vergessen."

Zum Dank für seine ehrenamtliche Tätigkeit als Vereinspräsident erhielt der bekennende Homosexuelle einen Riesenbouquet aus violetten Rosen. Littmann revanchierte sich mit einer Zwölf-Liter-Magnumflasche Champagner für alle Anwesenden und einem Kunstwerk, das zur neuen Saison eine Seitenwand der neuen Südtribüne zieren soll.

Obwohl das "Hamburger Abendblatt" bereits am Montag von Littmanns Rücktrittsabsicht berichtete , gab sich Aufsichtsrats-Boss Michael Burmester erstaunt: „Wir sind überrascht von dieser Entscheidung und werden nun zeitnah eine Entscheidung für die kommissarische Nachfolge treffen.“

Gewählt ist Littmann noch bis März 2011, aber schon im November dieses Jahres soll ein Nachfolger gekürt werden. Bis dahin wird einer der vier Vize-Präsidenten nach Vorgabe des Aufsichtsrats übergangsweise das Amt übernehmen. Als Kandidaten dafür werden Marcus Schulz und Bernd-Georg Spies gehandelt.

Sportdirektor Helmut Schulte würdigte die Leistung des scheidenden Präsidenten. „Im Fußball ist man ja nie vor Überraschungen gefeit, aber wir müssen Corny für seinen Einsatz danken. Er hinterlässt einen gut aufgestellten Verein“, sagte Schulte, Littmann dankte prompt zurück: „Für Helmut und unseren Trainer Holger Stanislawski bin ich ab jetzt nur noch ein Freund und nicht auch noch ein Arbeitgeber.“

Als weiterhin amtierender Geschäftsführer der FC St. Pauli Service GmbH wird Littmann weiterhin Einfluss auf die Geschicke des Klubs nehmen. So ist nach Fertigstellung der neuen Haupttribüne im Millerntorstadion für 2012 der Neubau der Gegengeraden geplant, 2014 soll dann die Nordtribüne saniert werden.

Der scheidende Präsident hatte den zwischenzeitlich in die Drittklassigkeit abgerutschten Verein auch dank des Verkaufs der mittlerweile legendären braunen Retter-T-Shirts und der Kneipen-Aktion „Saufen für St. Pauli“ Schritt für Schritt finanziell und später auch sportlich saniert. Auch die Errichtung einer neuen Südtribüne war in erster Linie dem Engagement Littmanns zu danken.

Sogar den damaligen Bayern-Manager Uli Hoeneß konnte er überzeugen, mit dem deutschen Rekordmeister zu einem Benefizspiel gegen die „Weltpokalsiegerbesieger“ in die Hansestadt zu kommen. Diesen inoffiziellen Titel hatten sich die Kiez-Kicker in ihrer letzten Bundesliga-Halbserie im Februar 2002 durch einen 2:1-Erfolg gegen den FC Bayern erkämpft.