Die Andeutung des Weltverbandschefs, Deutschland habe sich die Fußball-WM 2006 erschlichen, wird nicht von wenigen als Verzweiflungsakt des Schweizers gewertet. IOC ermittelt vorerst nicht gegen Blatter.

Berlin. Joseph Blatter hat den Einsatz erhöht. Nur wenige Tage nach der Offenlegung der ISL-Akten um millionenschwere Bestechungen an Fifa-Funktionäre lenkt der Präsident des Fußball-Weltverbands Fifa die Diskussionen unvermittelt auf einen Nebenplatz - auf den seiner größten Kritiker aus Deutschland.

Denn nachdem Blatter in einem Interview mit dem Schweizer "Sonntagsblick“ mehr oder weniger direkt behauptet hatte, dass Deutschland sich die Weltmeisterschaft 2006 gekauft habe, fliegen die verbalen Giftpfeile aus Deutschland Richtung Fifa-Hauptsitz in Zürich. "Nebelkerzen“ würde Blatter zünden, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. "Er irrt“, stellte Franz Beckenbauer in der "Bild“ verärgert fest.

Das "Sommermärchen“ nur ein gekauftes Spektakel? Blatter hat mit seinen Aussagen ohne Zweifel in ein Wespennest gestoßen, und dabei ist dem 76-Jährigen durchaus Kalkül zuzuschreiben. Zumindest eine Retourkutsche, nachdem DFL-Boss Reinhard Rauball den mächtigsten Mann im Fußball nach den Korruptionsvorwürfen per Telefon offen zum Rücktritt aufgefordert hatte und selbst der DFB von Blatter abgerückt war. Es ist eine Schlammschlacht, bei der Blatter, gerade selbst in der Defensive, nun zum Gegenangriff ausholt und Deutschland offenbar an einem wunden Punkt getroffen hat.

"Fifa-Boss Blatter zieht unser Sommermärchen in den Dreck“, titelte die "Bild“ am Montag dann auch in ihrer Onlineausgabe. Der ehemalige Funktionär und langjährige Mediendirektor der Fifa, Guido Tognoni , sieht in Blatters Äußerungen indes reine Taktik: "Sepp Blatter steckt im Moment wieder einmal in einem Überlebenskampf. Er ist natürlich schwer angeschossen. Immer wenn er ein bisschen bedrängt ist, dann schlägt er um sich“, sagte Tognoni am Montag im ARD-"Morgenmagazin“.

"Die Bundesregierung hat alles getan“

Dabei hatte gerade dieser Tognoni die von Blatter erhobenen Vorwürfe einer gekauften WM 2006 bereits vergangenes Jahr selbst formuliert. "Die Bundesregierung hat für das Gewinnen der Stimme eines saudiarabischen Delegierten kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben“, sagte Tognoni damals auf einem Kongress in Düsseldorf, und weiter: "Die Bundesregierung hat alles getan - und auch das getan - um diese Stimme zu bekommen.“ Behauptungen, die schon damals von deutscher Seite empört zurückgewiesen worden waren.

Doch Blatter weiß und wusste um die Gerüchte, die rund um die Vergabe der Weltmeisterschaft an Deutschland im Jahr 2000 entstanden waren, und greift diese nun gleichsam genüsslich wie unaufgefordert auf. Die "Süddeutsche Zeitung“ durchleuchtete am Montag die zumindest fragwürdigen Umstände der Stimmenthaltung des damaligen Fifa-Wahlmann Charles Dempsey aus Neuseeland, die als Schlüssel für den Sieg der deutschen Bewerbung gegen die von Blatter favorisierten Südafrikaner galt.

+++ Lesen Sie hier den Abendblatt-Kommentar zum Thema: "Das miese Spiel des Fifa-Chefs" ++++

IOC ermittelt nicht gegen Blatter

Dempsey hatte bei der Abstimmung des 24-köpfigen Exekutivkomitees der Fifa im Juli 2000 den Raum verlassen, am Ende siegte Deutschland mit zwölf zu elf Stimmen. Bei einem Patt hätte Blatters Stimme entschieden - und der war damals bekanntermaßen schon für Südafrika. Jahrelang hatte der 76 Jahre alte gelernte Volkswirt zu diesem Thema nichts gesagt. Bis Sonntag.

Blatter setzt also auf seine altbewährte Taktik der Vorwärtsverteidigung. Kurzfristig konnte der umstrittene Präsident die Aufmerksamkeit von den Problemen im eigenen Haus ablenken, doch diese könnten ihn schneller einholen, als ihm lieb ist. Denn am Dienstag findet in Zürich jedoch eine Außerordentliche Sitzung der Fifa statt; dort sollen unter anderem die neuen Ethik-Regeln verabschiedet werden. Auf der Agenda steht auch die Einsetzung der Vorsitzenden der beiden Kammern der Ethikkommission. Sie sollen ein Signal für die Reformpolitik des korruptionsgebeutelten Weltverbandes sein. Zudem kommen die oft kritisierten WM-Vergaben an Brasilien 2014, Russland 2018 und vor allem Katar 2022 auf dem Prüfstand.

Derweil muss Blatter in der Schmiergeldaffäre vorerst nicht mit IOC-Ermittlungen rechnen. "Das IOC ermittelt nicht gegen Joseph Blatter“, erklärte das Internationale Olympische Komitee am Montag, nahm die Fifa dennoch in die Pflicht. "Die Fifa hat eine neue ethische Kommission eingerichtet, die ist jetzt gefordert“, teilte das IOC weiter mit.

Mit Material von dapd und dpa