Mit Guerrero ging einer der letzten “richtigen Typen“ der Bundesliga. Und das ist gar nicht schlimm

Jetzt ist er also weg, dieser Paolo Guerrero. Der HSV hat genau jenen letzten Spieler verkauft, den die Öffentlichkeit noch als "Typen" bezeichnet. Also wieder einer weniger in der Bundesliga.

Es ist ja wahr: Fußball-Deutschland hat keine Typen mehr. Wobei die Frage erlaubt sein muss: Ist einer nur deswegen ein "richtiger Typ", weil er mal einen Zuschauer mit einer Flasche bewirft? Weil er Fans den Mittelfinger entgegenstreckt? Weil er nach dem Spiel und noch im Trikot eine raucht? Weil er auf dämliche Reporterfragen laut und schnöselig antwortet? Weil er vor Arroganz strotzt? Weil ihm im Grunde alles egal ist, denn er weiß ja, dass er doch der Größte und sowieso unantastbar ist?

Nun, solch ein Typ ist HSV-Großverdiener Paolo Guerrero nie gewesen. Auf dem Rasen drehte er zwar gelegentlich durch, aber das haben viele andere Profis auch im Repertoire. Vor dem Spiel und nach dem Spiel war Paolo aber fast immer der nette, bescheidene und höfliche junge Mann von nebenan. Der Peruaner war ein eher introvertierter Mensch. Aber er steckte nach dem ersten negativen Vorfall fest in einer Schublade, in die er nach jeder weiteren Eskapade tiefer hineingedrückt wurde. Fans sind da oft unerbittlich. Aber einer jener unerträglichen Liga-Lautsprecher war er nie.

Spieler seiner Art haben sich im modernen Fußball, auch in der Bundesliga, auch deshalb überholt, weil der Sport heute viel ernsthafter geworden ist. Nicht der Maulheld zählt, sondern nur die hundertprozentige Leistung. Keine Mannschaft kann es sich noch erlauben, einen Exoten 90 Minuten lang mit durchzuschleppen nach dem Motto: Wenn der Fürst in Laune ist, spielt er groß auf, wenn der Fürst nicht in Laune ist, lässt er Spiel Spiel sein.

Auch ein solcher Typ war Guerrero nie. Trotz allem ist der Mut jener Vereine (wie nun Corinthians São Paulo), die sich an einen in Verruf geratenen Spieler noch herantrauen, bewundernswert. Unklar ist, ob es sich dabei um einen fatalen Hang zum Risiko handelt, um Unwissenheit oder einfach nur Dummheit. Oder die Vereine sind zu bequem und zu faul, weil sie sich keine genauen Informationen über ihren neuen Spieler einholen.

Vielleicht liegt der Verpflichtung solcher Spieler auch ein gewisser Hang zur Selbstüberschätzung zugrunde. Weil manche Trainer und Sportchefs offenbar glauben, dass ausgerechnet sie mit einem schwierigen Typen, der schon bei einem anderen Verein gescheitert ist, viel besser zurechtkommen. Und vielleicht denken, dass nur sie eine im Profigeschäft einmalige psychologische Ader hätten.

Wie zum Beispiel die Herren in Bremen, die sich nun einen Eljero Elia gönnen. Das ist jenes Supertalent, das beim HSV und zuletzt bei Juventus Turin schon gnadenlos gescheitert ist. Weil Elia dieses nicht wollte und jenes ablehnte und überhaupt. Er maulte oft, zog sich in den Schmollwinkel zurück - gab den Unverstandenen. Er wollte rechts nicht spielen, und wenn er es links einmal durfte, war er ein Ausfall. Wie zuletzt in Italien eine ganze Saison lang. Neun Millionen hatte Juventus für die Primadonna ausgegeben (zum Glück für den HSV!), aber bezahlt gemacht hat sich nicht ein Euro davon. Deshalb wird eine der spannendsten Fragen der kommenden Saison lauten: Gelingt es den Herren Schaaf und Allofs bei Werder, aus dem hoch veranlagten, gelegentlich "durchgeknallten" Niederländer doch noch einen umjubelten Bundesliga-Profi hervorzuzaubern?

Allein, mir fehlt der Glaube. Nicht die Diva zählt im Sport, sondern ausschließlich das faire und auch kollegiale Auftreten, der hundertprozentige Einsatz. Genau deshalb bin ich nicht traurig, dass die Bundsliga keine der sogenannten richtigen Typen mehr hat. Meine Helden spielen zwar schon lange nicht mehr, aber sie waren Fußballer, die eine vorbildliche Einstellung zu ihrem Beruf, zu ihrer Mannschaft und zu ihrem Verein hatten. Legenden wie Uwe Seeler, Wolfgang Overath, Günter Netzer, Willi Schulz, Franz Beckenbauer, Horst Hrubesch, Rudi Völler und Sepp Maier, die stets vorangingen und mit ihren sportlichen Taten renommierten und nicht mit fetten Autos und Goldkettchen um den Hals. Am Ende ist nur die hervorragende Leistung die Basis für den ganz großen Erfolg.

Dieter Matz, Abendblatt-HSV-Experte und Blog-Vater ("Matz ab") mit seiner aktuellen Freitagsanalyse