Der Fifa-Präsident holt in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung zu einer medialen Großoffensive aus. Auch den DFB nimmt Blatter ins Visier.

Frankfurt/Berlin/Köln. Fifa-Präsident Joseph S. Blatter hat sich gegen die zunehmende Kritik deutscher Fußball-Funktionäre im Zuge der Schmiergeldaffäre beim Fußball-Weltverband gewehrt und zum verbalen Gegenschlag ausgeholt. In einem Interview mit der Schweizer Boulevardzeitung "SonntagsBlick“ deutete Blatter Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Fußball-WM 2006 nach Deutschland an.

"Gekaufte WM... Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv“, sagte Blatter. Auf die Nachfrage, ob er vermute, dass die WM gekauft worden sei, antwortete der Fifa-Boss: "Nein, ich vermute nichts. Ich stelle fest.“

Deutschland hatte vor zwölf Jahren in Zürich in einer Kampfabstimmung im 24-köpfigen Exekutivkomitee der Fifa mit 12:11 Stimmen den Zuschlag für die WM 2006 erhalten. Der Ozeanien-Vertreter Charlie Dempsey (Neuseeland) enthielt sich damals der Stimme, sodass die Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) knapp die Oberhand behielt. Bei Stimmengleichheit hätte Blatter als Präsident für die Entscheidung gesorgt; er war bereits für 2006 ein Befürworter einer WM am Kap der guten Hoffnung gewesen. Südafrika wurde erst 2010 erster afrikanischer Gastgeber einer WM-Endrunde.

Blatter bestätigte zudem, dass der deutsche Ligapräsident Reinhard Rauball ihn persönlich zum Rücktritt aufgefordert habe. "Rauball hat mich am Freitag angerufen und mir gesagt, ich solle zurücktreten. Ich sagte ihm, das sei nicht so einfach, wie er sich das vorstelle. Schließlich bin ich vom Kongress gewählt“, berichtete Blatter.

DFB-Präsident Niersbach reagiert "geschockt"

Trotz seiner medialen Großoffensive vom Wochenende sieht sich Blatter zunehmend im Abseits. DFB-Chef Wolfgang Niersbach ging am Sonnabend "geschockt“ auf Distanz zum 76-Jährigen, und das Internationale Olympische Komitee (IOC) beobachtet sehr aufmerksam die jüngsten Korruptions-Enthüllungen bei der Fifa.

Blatter forderte im Interview mit dem SonntagsBlick auch den Entzug der Fifa-Ehrenpräsidentschaft für seinen Amtsvorgänger Joao Havelange (Brasilien/96). "Er muss weg. Er kann nicht Ehrenpräsident bleiben nach diesen Vorfällen“, sagte Blatter. Außerdem berichtete der Walliser, dass es 1986 vor der WM in Mexiko im Zusammenhang mit einem Qualifikations-Entscheidungsspiel einen Versuch gegeben habe, ihn mit 50.000 Dollar zu bestechen. Er habe das Geld jedoch nicht angenommen.

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Einen Tag nach der Rücktrittsforderung Rauballs an Blatter machte derweil Niersbach aus seiner Empörung über die seit vergangenen Mittwoch offiziellen Korruptionsfälle in der Fifa-Spitze und besonders auch Blatters Umgang mit dem Thema kein Hehl.

"Die Reaktion des Fifa-Präsidenten hat mich geschockt. Wenn nicht unbedeutende Persönlichkeiten der Fifa Geld kassiert haben und die Reaktion darauf ist, dass das damals nicht verboten war, dann können wir uns als DFB davon nur klar distanzieren“, sagte Niersbach am Sonnabend bei der DFB-Schiedsrichtertagung in Altensteig-Wart.

Fifa-Exekutive tagt am Dienstag

Blatter wehrte sich unterdessen gegen Vorwürfe, er habe die Schmiergeldzahlungem innerhalb der Fifa wissentlich geduldet. "Ich heiße weder Bestechung gut, noch unterstütze oder rechtfertige ich sie“, sagte er dem SonntagsBlick. Von den Millionen-Zahlungen an Havelange und das langjährige -Exekutivmitglied Ricardo Teixeira habe er erst mit dem Bankrott des Fifa-Vermarkters ISL im Jahr 2001 erfahren.

"Es war die Fifa, die damals Strafanzeige erstattet hat und den ganzen ISL-Fall ins Rollen brachte“, betonte Blatter: "Die Leute, die mich attackieren, wissen, dass es so ist, aber sie lassen nicht locker. Sie wollen mich weg. Wenn ich nun sage, es sei schwierig, die Vergangenheit an heutigen Maßstäben zu messen, dann ist das eine generelle Feststellung.“

Das ganze Ausmaß der ISL-Affäre hat laut Niersbach "das komplette DFB-Präsidium erschüttert und geschockt“. Man könne ihn naiv nennen, sagte der DFB-Chef weiter, "aber ich habe das bis jetzt nicht glauben können“. Mit Blick auf die Sitzung der Fifa-Exekutive am Dienstag in Zürich sagte Niersbach: "Wir sind gespannt, ob es Konsequenzen gibt. Die Sitzung wurde ja anberaumt zur Verabschiedung des Reformprozesses. Aber aus meiner Sicht wird die Sitzung davon überschattet, was jetzt aktenkundig geworden ist.“

Auch die Haltung des IOC verstärkt Blatters wachsende Isolation. "Wir müssen uns mit den Dokumenten vertraut machen“, zitierte die Süddeutsche Zeitung nach eigener Anfrage zu der Affäre am Sonnabend eine IOC-Mitteilung. Zunächst jedoch scheint die weltweit größte Sportorganisation noch nicht die Initiative ergreifen zu wollen: "In erster Instanz ist diese Angelegenheit von der Fifa zu behandeln. Wir werden die Schritte beobachten, die sie unternimmt.“

Blatter gehört dem IOC seit 1999 an. Im vergangenen Winter noch hatte das IOC im Zusammenhang mit Havelanges Rücktritt aus dem IOC wegen drohender Ermittlungen aufgrund der Bestechungsvorwürfen ausdrücklich auf eine Untersuchung von Blatters Rolle in der Affäre um die ISL-Schmiergeldzahlungen verzichtet.

Mit Material von dpa und sid