Der Mittelgewichts-Boxprofi Mahir Oral will morgen seine zweite Chance auf einen WM-Titel nutzen. Sein Gegner: Sebastian Sylvester.

Hamburg. Der Auftrag, mit dem Mahir Oral an diesem Sonnabend (22.30 Uhr/ARD) in der Rostocker Stadthalle in den Ring steigt, kommt von höchster Stelle. "Bringen Sie den WM-Titel in die Türkei!" ließ der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dem Mittelgewichts-Boxprofi über einen Sprecher ausrichten, als dieser während seines Trainingslagers Ende September in der Hauptstadt Ankara den Regierungssitz besuchte. "Leider musste Herr Erdogan zu einem Termin, kurz bevor wir ankamen, sodass ich ihn nicht sprechen konnte", sagt Oral, "aber er hat versprochen, dass es eine große Gala in der Türkei für mich geben wird, wenn ich den Titel hole."

Der Mann, der diese Gala verhindern möchte, heißt Sebastian Sylvester, ist Titelträger des Weltverbands IBF und hat Oral als freiwilligen Herausforderer akzeptiert, obwohl sich die beiden Sportler nicht nur kennen, sondern auch schätzen. Vor seinem Duell mit dem heutigen WBA-Superchampion Felix Sturm im November 2008 hatte der 30 Jahre alte Greifswalder Oral für drei Wochen zum Sparring in die Sportschule Kienbaum gebeten. "Wir kennen unsere gegenseitigen Stärken und Schwächen seitdem sehr genau. Ob das aber ein Vor- oder Nachteil ist, wissen wir erst nach dem Kampf", sagt Oral, für den das Wissen um die Fähigkeiten des Kontrahenten sowieso eine untergeordnete Rolle spielt. Der in Finkenwerder geborene und heute in Rahlstedt beheimatete Deutschtürke wird sein Glück wie immer in der Offensive suchen. "Sebastian ist der Champion, deshalb muss ich Druck machen. Und ich werde Druck machen", verspricht der 30-Jährige, der ob seines aggressiven Kampfstils den Beinamen "Löwe" trägt.

Anders als bei seiner ersten WM-Chance, die er im Juni 2009 durch Abbruch in Runde zehn gegen Arthur Abraham vergab, hat Oral diesmal ausreichend Zeit für die Vorbereitung gehabt. "Vom Kampf gegen Arthur habe ich sechs Wochen vorher erfahren. Diesmal hatte ich zehn Wochen Zeit. Ich bin auf zwölf Runden eingestellt und kann in der letzten noch genauso viel Gas geben wie in der ersten", sagt er.

Sein Kämpferherz war schon immer der Antrieb für sein Fortkommen, boxerisch hat er sich in den vergangenen Jahren Stück um Stück entwickelt. Vor allem aber hat Oral, der im Jahr 2000 eine Schlosserlehre abbrach, um Profi zu werden, gelernt, Rückschläge wegzustecken. In den fast elf Jahren, die seine Karriere bereits dauert, stand er mehrfach vor dem Aus, weil er auf falsche Berater hörte, schlechte Entscheidungen traf und Pech mit Krankheiten oder Verletzungen hatte. Innerhalb der vergangenen vier Jahre musste er dreimal den Trainer wechseln, seit Jahresbeginn arbeitet er mit dem Türken Bülent Baser am Hamburger Landesstützpunkt im Braamkamp. Es soll eine Dauerlösung sein, um endlich Kontinuität in die Arbeit zu bekommen.

Die wichtigste Entscheidung traf der 185 cm große Athlet aus seiner Sicht jedoch im Sommer, als er sich von seinem Promoter, Arena-Chef Ahmet Öner, trennte und beim Berliner Sauerland-Team anheuerte. "Ich bin jetzt bei der Nummer eins in Deutschland, und ich will mich mit deren Hilfe in der Weltklasse etablieren", sagt Oral. Selbst im Fall einer Niederlage gegen seinen Stallgefährten Sylvester baut Sauerland weiter auf den Neuzugang. "Er bekommt auf jeden Fall drei Kämpfe zur Bewährung, weil wir an ihn glauben", sagt Kalle Sauerland, Sohn und rechte Hand von Stallchef Wilfried Sauerland.

Oral freut sich sehr über das in ihn gesetzte Vertrauen, will seinen neuen Chefs jedoch keine Gelegenheit geben, über die Kooperation nachdenken zu müssen. "Es ist wahrscheinlich meine letzte WM-Chance, und ich bin zu 110 Prozent sicher, dass ich sie nutzen werde", sagt er. Im Falle eines Sieges wäre Oral der erste Boxweltmeister, der in Hamburg geboren wurde.

Unterstützung wird der Vater eines elf Monate alten Sohnes in Rostock von vielen Seiten erhalten. Zwar können die ehemaligen Vereinskollegen vom TuS Finkenwerder nicht anreisen, da sie zeitgleich die Hamburger Meisterschaften bestreiten. Dafür sitzen Ehefrau Ferda und Mutter Nuray, die fast jeden Kampf des Sohnes live gesehen hat, als Glücksbringer am Ring, und in der Ecke unterstützt der Hamburger Top-Regisseur Fatih Akin seinen Freund.

Sollte Orals Traum vom WM-Titel tatsächlich in Erfüllung gehen, dann wird bei seiner ersten Titelverteidigung wohl auch Erdogan am Ring sitzen. "Er hat gesagt, dass ich den Titel unbedingt in der Türkei verteidigen soll", sagt Oral. Und dem Wunsch eines Ministerpräsidenten widersetzt sich selbst ein "Löwe" nicht.