Josef Hackforth, 61, ist Professor für Sport, Medien und Kommunikation an der TU München.

Hamburger Abendblatt:

1. Am heutigen Sonnabend werden sich wieder rund zwölf Millionen Zuschauer bei RTL die Box-Weltmeisterschaft zwischen Vitali Klitschko und Shannon Briggs im Fernsehen anschauen. Warum elektrisiert der Kampf Mann gegen Mann weiter die Massen?

Josef Hackforth:

Boxen ist die letzte verbliebene archaische Sportart, in der zwei Menschen aufeinander einschlagen dürfen, um herauszufinden, wer der Stärkere ist. Das gibt es in dieser ursprünglichen Form nirgendwo mehr, schon gar nicht im "richtigen Leben". Im Schwergewicht, in dem die beiden Klitschkos antreten, kann es zudem jederzeit zu einem Knock-out kommen, einem an Dramatik nicht zu überbietenden finalen Akt. Das sorgt für zusätzliche Spannung, für den besonderen Kick. Der bringt die hohen Quoten.

2. Das klingt so, als wäre die Menschheit immer noch nicht in der Zivilisation angekommen?

Hackforth:

Im Gegenteil, sie ist sich ihrer Verbote sehr bewusst und hält sich auch weitestgehend daran. Wir morden nicht, wir lieben aber Krimis. Wir schlagen uns nicht, wir gehen jedoch zum Boxen. Das ist eine Form der Reife. Viele unterdrückte Triebe werden heute in sublimierter Form in kulturell anerkanntes Verhalten umgewandelt.

3. Welche Rolle spielen dabei die Klitschkos? Erfüllen sie unsere geheimen Wünsche?

Hackforth:

Sie tun das, was wir vielleicht manchmal auch gern täten. Sie schlagen sich für uns, sie sind Siegertypen, sie sind eine Art Stellvertreter für uns.

4. Warum sind zunehmend auch Frauen von den Klitschko-Brüdern fasziniert?

Hackforth:

Die Zuschauer der Klitschkos kommen nicht aus dem Rotlicht-Milieu, - wie zum Teil noch bei anderen Box-Veranstaltungen -, sondern inzwischen vor allem aus der sogenannten besseren Gesellschaft. Vitali und Wladimir Klitschko sind Persönlichkeiten - beide haben promoviert -, die ihren Reiz auf Frauen natürlich auch wegen ihrer Körper ausüben. Die Klitschkos sind für Frauen auch Lustobjekte.

5. Der Hamburger Universum-Boxstall hat schon heute keinen TV-Partner mehr. Hat das Boxen in Deutschland nach Ende der Ära Klitschko eine Zukunft?

Hackforth:

Boxen hat in Deutschland Tradition, die Max Schmeling begründete, Karl Mildenberger in den 1960er-Jahren und später Henry Maske fortsetzte. Gelingt es, einen nationalen Heroen zu finden, am besten einen Schwergewichtler, der, wie die Klitschkos zeigen, gern auch Ausländer sein darf, wird die Sportart populär bleiben. Ein Problem ist die Aufsplitterung in zahlreiche Weltverbände und unzählige Gewichtsklassen. Das schadet der Wahrnehmung des Boxens.