Die deutschen Springreiter feiern WM-Gold im Nationenpreis - nach den turbulenten vergangenen Jahren wie eine Befreiung.

Lexington. Die deutschen Springreiter haben im US-Bundesstaat Kentucky den erhofften Neuanfang eingeleitet. Das Gold im Nationenpreis verdrängt die Negativschlagzeilen der vergangenen zwei Jahre und könnte der Startschuss zu einer neuen Ära werden. Der Bundestrainer ballte im wahrsten Sinne des Wortes die Becker-Faust, seine Goldreiter Carsten-Otto Nagel und Janne-Friederike Meyer fielen sich in die Arme: Als Meredith Michaels-Beerbaum das letzte Hindernis genommen hatte, kannten Jubel und Erleichterung im deutschen Lager auf dem Nebenplatz der WM-Arena von Lexington keine Grenzen mehr. Zum dritten Mal nach 1994 und 1998 holten die deutschen Springreiter Gold bei einer Mannschafts-WM.

"Das ist sensationell", rief Otto Becker, "wir haben es geschafft. Nach zwölf Jahren wieder Mannschaftsgold, das ist geil." Der Cheftrainer wollte sich gar nicht wieder beruhigen. "Der Erfolg tut so gut nach dem ganzen Theater", sagte Becker und spielte damit auf die Dopingaffären an, die das Springreiten seit Olympia 2008 so belastet hatten. "Eine Riesenleistung bei all dem, was Reiter und Verband wegstecken mussten", sagte Reiter-Präsident Breido Graf zu Rantzau. Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, gratulierte ganz besonders den beiden Champions aus dem nördlichsten Bundesland, dem Wedeler Nagel und der Schenefelderin Meyer. "Es ist großartig, dass Sportler aus unserem Land mit ihren Holsteiner Pferden am Sieg der deutschen Equipe beteiligt waren", sagte der CDU-Politiker.

Das Team war auf den Punkt bärenstark. Mit drei Nullrunden ritten Meyer, Nagel und Michaels-Beerbaum (Thedinghausen) ins Glück. "Ich weiß gar nicht, ob es das in einem WM-Nationenpreis schon gegeben hat", sagte zu Rantzau. "Ich bin sprachlos", stammelte Shootingstar Meyer, die von Altmeister Paul Schockemöhle prompt ein Küsschen auf die Wange gedrückt bekam: "Ich werde heute so viel Bier und Wein trinken, dass es mir morgen richtig dreckig geht." Zu Rantzau gab den Weg vor: "Erst stoßen wir im Stall an, dann wird im Hotel weitergefeiert."

Rechtzeitig zur Siegerehrung stand Becker dann im blauen Anzug da: "Den hatten wir vorher extra im Stall gelassen. Die Pfleger sagen, das bringt Unglück, wenn man den zu früh anzieht." Ehefrau Julia hatte den guten Zwirn dann aber rechtzeitig zur Hand und sorgte für den pünktlichen Kleiderwechsel. "Du bist die Beste. Das ist einfach klasse, wie du deinen Mann im Griff hast", sagte FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach zur Frau des Bundestrainers.

Michaels-Beerbaum schnappte sich derweil ihr acht Monate altes Töchterchen Brianne-Victoria und küsste das Baby liebevoll. "Sie ist unser größter Fan", sagte die stolze Mutter, die von einem historischen Erfolg sprach. "Noch nie hat es in einer deutschen Siegermannschaft bei einem Championat zwei Frauen gegeben", sagte die 40-Jährige: "Deshalb haben Janne und ich etwas Besonderes erreicht." Und noch nie, fügte "MMB" hinzu, "hat es eine Mama als Weltmeisterin gegeben".

Einen relativ entspannten Abend verlebte Deutschlands vierter Reiter Marcus Ehning. "Als ich ins Stadion einritt, war ich schon Weltmeister", sagte der Borkener. Allerdings erlaubte sich Ehning dennoch einen Abwurf, sodass der 36-Jährige in der Einzelwertung auf Platz 27 zurückfiel. Vor der letzten Qualifikation am heutigen Freitag für das Einzelfinale hat der Mitfavorit aus Westfalen damit seine Chancen schon fast verspielt.

"Ich hoffe, dass es Carsten-Otto schafft", sagte Becker über den bislang besten deutschen Reiter. Der 48 Jahre alte Routinier liegt mit Corradina auf Platz drei der Einzelwertung hinter dem Brasilianer Rodrigo Pessoa mit Rebozo und dem Belgier Philippe le Jeune mit Vigo. In zwei weiteren Runden werden heute die besten vier Reiter für das Finale mit Pferdewechsel gesucht. "Von der Substanz her hat Carsten die besten Chancen", sagte der Bundestrainer hoffnungsfroh.

Michaels-Beerbaum ist 18., Meyer hat auf Rang 15 nur noch geringe Medaillenchancen. "Für mich ist es doch schon ein Traum, hier zu sein", sagte die 29-Jährige, die durch den Ausfall von Marco Kutscher erst kurzfristig ins Team gerutscht war: "Marcus, Meredith und Carsten-Otto waren Idole für mich. Jetzt bin ich mit ihnen Weltmeister - unglaublich."

Durch das Gold in der Königsdisziplin hat die deutsche Reit-Mannschaft ihre Medaillenbilanz in Lexington deutlich aufpoliert. Damit können die Reiter am Freitag mit breiter Brust Thomas Bach, den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, in Lexington begrüßen. Und vielleicht ist das etwas überraschende Gold auch der Startschuss in eine neue Ära ohne Manipulationsskandale und mit schönen Erfolgen.