Elf Minuten nach Tagessieger Andy Schleck kam der mehrfach gestürzte Lance Armstrong ins Ziel. Cadel Evans übernimmt das Gelbe Trikot.

Morzine-Avoriaz. Der Traum vom achten Triumph bei der Tour de France ist für Rekordsieger Lance Armstrong vorzeit vorbei. Hilflos, kraftlos und aller Illusionen beraubt: Der Superstar und die deutsche Tour-Hoffnung Tony Martin erlebten in den Alpen ein böses Erwachen. Als die Spitzenfahrer um den Topfavoriten Alberto Contador bei der ersten Bergankunft in Morzine-Avoriaz um den Etappenerfolg kämpften, strampelten der US-Altmeister und der deutsche Newcomer um ihr sportliches Überleben. Den Tagessieg im Ziel der 8. Etappe holte sich am Sonntag nach 189 Kilometern der Vorjahreszweite Andy Schleck aus Luxemburg. Das Gelbe Trikot wechselte von Vortages-Solosieger Sylvain Chavanel zum australischen Weltmeister Cadel Evans. 24 Stunden nachdem der 25 Jahre alte Martin bereits auf dem Weg zur Skistation des Rousses völlig eingebrochen war, fuhr er auch auf der zweiten Alpenetappe meilenweit hinterher. Der große Gewinner beim ersten Showdown der Kapitäne war neben Evans der spanische Vorjahreschampion Contador, der seinem gedemütigten Erzrivalen Armstrong mehr als sieben Minuten abnahm und beste Chancen auf seinen dritten Tour-Gesamtsieg hat. Dagegen musste Rekordsieger Armstrong seinen ohnehin kühnen Traum vom achten Coup bereits nach den ersten Klettertortur begraben.

Unfreiwillig behielt der Amerikaner recht, der vor der Ankunft in dem Alpenörtchen „eine neue Wendung“ im Klassement prognostiziert hatte: „Hier wird eine Entscheidung fallen.“ In der Gesamtwertung führt Evans nun vor Andy Schleck (+20 Sekunden Rückstand) und Contador (+1,01 Minuten), der zehn Sekunden auf seinen schärfsten Herausforderer Schleck verlor. Die Entscheidung um den Tagessieg bei der einzigen Bergankunft in den Alpen brachte der 13,6 Kilometer lange Schlussanstieg hinauf zur Skistation Morzine-Avoriaz. Beim Ausscheidungsrennen der Spitzenleute, bei dem Contadors Astana-Team gnadenlos die Tempoarbeit verschärfte, jubelte am Ende Schleck dank eines Schlussspurts vor Samuel Sanchez. Schon beim vorletzten Anstieg auf den Col de la Ramaz mussten Armstrong und Martin das Feld der Topfahrer ziehen lassen. Bereits am Samstag hatte der deutsche Columbia-Profi die Hoffnung, „ganz vorne mitzufahren“, aufgegeben. Der Eschborner fand beim Tagessieg des Franzosen Chavanel überhaupt nicht seinen Tritt und verlor 19:14 Minuten. „Ich hatte schon seit ein paar Tagen schlechte Beine. Ich konzentriere mich jetzt auf Etappensiege“, sagte Martin, bevor er ein erneutes Frusterlebnis zu verdauen hatte.

Für Armstrong, den die Doping-Vorwürfe seines Ex-Teamkollegen Floyd Landis doch zuzusetzen scheinen, brachte die 8. Etappe einen rabenschwarzen Tag. Schon unterwegs hatte der RadioShack-Kapitän, dessen Edelhelfer Andreas Klöden mit Contador mitgehen durfte, vier Jahre nach Landis' durch Doping erschwindelter Triumphfahrt nach Morzine-Avoriaz zwei Schrecksekunden zu überstehen. Erst musste er nach sechs Kilometern einen Abstecher ins Gras machen, um einem Massensturz auszuweichen. Dann erwischte es ihn 50 Kilometer vor dem Ziel, als der Texaner auf den Asphalt aufschlug und sich sein Trikot am Rücken aufriss. Zudem plagen den 38-Jährigen „starke Schmerzen beim Sitzen“, so dass er schon in Rousses einräumen musste: „Ich habe gelitten.“

Pech hatte am Sonntag zunächst auch Weltmeister Evans. Statt wie angekündigt Contador und Co. zu attackieren, stürzte der Australier ebenfalls bei Kilometer sechs und verletzte sich an Hand und Schulter. Evans biss aber auf die Zähne und belohnte sich im Wintersportort mit dem Gelben Trikot für seine Courage.