Hamburger setzen den deutschen Meister und Bundesliga-Chef Witte unter Druck und fordern personelle Konsequenzen.

Hamburg. Zumindest sein Gespür fürs Timing ist Uwe Schwenker auch in der schwersten Krise seiner beruflichen Laufbahn noch nicht abhandengekommen. Es war kurz nach 14 Uhr am gestrigen Nachmittag, als der Manager des deutschen Rekordmeisters THW Kiel eine Pressemitteilung verbreiten ließ. Darin erklärte Schwenker, er werde seine Ehrenämter als Vizepräsident der Handball-Bundesliga (HBL) und der Group Club Handball (GCH) sowie als Vorsitzender der Marketing-Kommission des europäischen Verbandes EHF vorläufig ruhen lassen.

Man müsste diese Mitteilung schon aus Liebe zur Umwelt als Verschwendung von Papier und elektronischem Speicherplatz brandmarken: Schwenker hatte diese Aufgaben mit Rücksicht auf das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel gegen ihn zuletzt ohnehin nicht wahrgenommen. Nein, die seltsame Erklärung war wohl vor allem als ein Versuch, nach Wochen des Mauerns und Schweigens in der Korruptionsaffäre wenigstens für einen Moment in die Offensive zu gehen und dem ungeliebten Konkurrenten aus Hamburg ein wenig den Nordwind aus den Segeln zu nehmen.

Der HSV hatte seinerseits für 15.30 Uhr eine Presseerklärung im NH-Hotel Altona angekündigt, und deren Kernaussage hatte das Abendblatt bereits am Freitag beschrieben: Schwenker möge "bis zur endgültigen Aufklärung seine Ämter sowohl im Verein als auch in der HBL und der EHF ruhen lassen", heißt es in dem dreiseitigen Papier, das der HSV-Aufsichtsratsvorsitzende Rüdiger Heß im Licht Dutzender Fernsehkameras verlas. Auch HBL-Präsident Reiner Witte, ein erklärter Freund Schwenkers, wird darin wegen Befangenheit zum vorläufigen Rückzug aufgefordert.

Die Erklärung war allerdings nur das Vorwort zu einer im deutschen Profisport bislang nie da gewesenen Brandrede. Eine knappe Dreiviertelstunde lang übernahmen Heß und HSV-Präsident Andreas Rudolph die Rolle der Chefankläger und prangerten die aus ihrer Sicht mangelhafte Aufklärungsarbeit des THW und der HBL an.

Rudolph machte dabei erstmals seine Zeugenaussagen öffentlich, die er vor der Kieler Staatsanwaltschaft gemacht hat. Sie dürften Schwenker in schwere Bedrängnis bringen. Der habe demnach am Abend des 30. Juli 2007 auf der Terrasse von Rudolphs Anwesen auf Mallorca im angetrunkenen Zustand indirekt eingeräumt, den Champions-League-Finalsieg gegen Flensburg kurz zuvor gekauft zu haben. "Er sagte mir: 'Die Champions League werdet ihr nie gewinnen. Ich brauchte lange, um zu erfahren, dass man dafür die Schiedsrichter bestechen muss'", erinnert sich der HSV-Chef.

Mindestens zehn internationale Spiele sollen die Kieler seit 2000 manipuliert haben, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue. Schwenker bestreitet die Vorwürfe, doch Rudolph reicht das nicht: "Ich fordere Kiel auf, seine Unschuld zu beweisen und offenzulegen, wofür die fraglichen Bargeldabhebungen waren." Auf Nachfrage wollte sich Rudolph freilich nicht mehr darauf festlegen, dass Schwenker auf seiner Finca tatsächlich von Bestechung gesprochen hat: "Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr." Überhaupt habe er den Tisch schnell verlassen, "um mich um den Rotwein zu kümmern". Der ebenfalls anwesende Gerd Butzeck, Geschäftsführer der Spitzenklubvereinigung GCH, habe derweil versucht, Schwenker bei dessen intimen Bekenntnissen zu stoppen.

Auch Rudolph habe die Sache schnell vergessen wollen. Dies sei auch der Grund, warum er 19 Monate schwieg - bis die Rhein-Neckar Löwen den Verdacht Anfang März öffentlich machten. Er war ihnen im Zuge der Verpflichtung des damaligen THW-Trainers Zvonimir Serdarusic gekommen, gegen den inzwischen wegen Beihilfe ermittelt wird. Rudolph: "Mein Verhalten war rückblickend nicht das richtige."

Umso intensiver ist nun das Hamburger Bemühen, sich in der Affäre zum brutalstmöglichen Aufklärer aufzuschwingen. Offenbar sah man sich beim HSV auch intern unter Zugzwang. Erst am Freitag soll ein potenzieller Großsponsor sein Interesse zurückgezogen haben. In der HBL freilich ist der gestrige Vorstoß - an den Gremien vorbei - nicht unumstritten. Dem Vernehmen wollen mehrere Aufsichtsratsmitglieder Rudolph nahelegen, seinerseits sein Mandat im Kontrollgremium niederzulegen.

Einstweilen sind in dem Streit aber keine personellen Konsequenzen zu erwarten. Das HBL-Präsidium kommt heute in Hamburg zu einer turnusmäßigen Sitzung zusammen. Dass dabei Witte zum Rücktritt aufgefordert wird, ist unwahrscheinlich.

Auch beim THW Kiel prallte der Hamburger Appell ab. Es hätte der Aufforderung, Aufklärung zu leisten, "nicht bedurft", hieß es in einer Presseerklärung. Alle zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten seien ausgeschöpft, nun gelte es Einsicht in die staatsanwaltliche Ermittlungsakte zu nehmen. "Vielleicht hätte auch der HSV Hamburg diesen Zeitpunkt abwarten sollen."