Verreisen Sie nicht! Denn Reisen ist gefährlich. Es könnte Ihren Horizont erweitern.

Die Welt an sich ist schlecht, Sie wissen das. Die Welt da draußen aber, in der Reisende sich bewegen, ist ein Dschungel, ein Jammertal, ein Ort vielfältigster Fähr- und Kümmernisse. Die Zahl der Schrecken ist Legion, ihre Namen sind Bangkok, Kiew, Papenburg, St. Moritz ... und sie sind ohne Ende.

120 Kilometer Stau am Kamener Kreuz, zwei Wochen Wartezeit vor Polen und auf Mallorca deutet sich ein Streik des Bodenpersonals an - müssen Sie das haben? Wollen Sie das wirklich: "Waldbrände auf der Peloponnes - Urlauber evakuiert. Fährunglück vor Rimini - Urlauber sitzen fest. Lebensmittelvergiftung in Antalya - Urlauber kotzen um die Wette." Mal ehrlich: Passt das nicht besser in die "Tagesschau" als in Ihr wirkliches Leben?

Tun Sie sich die Liebe und bleiben Sie daheim. Was, glauben Sie, hat die Welt, was Bergedorf nicht böte?

Das Abenteuer suchen Sie? Die Essenz menschlicher Existenz, den nackten Kampf ums Dasein. Ha! Noch nie bei Aldi das Band vollgepackt und dann lag das Portemonnaie zu Hause? Atemberaubenden kulinarischen Herausforderungen wollen Sie sich stellen? Wie wäre es mit der Instant-Suppenterrine? Exotischen Klangteppichen aus gutturalem Gurgeln lauschen? Einfach den Musikantenstadl einschalten. Fremde Gesellschaften mit bizarren Riten erleben? Dann treten Sie doch dem Sparklub bei.

Auf gar keinen Fall aber möchten Sie sich vor den Kollegen blamieren. Diese unsagbar türkisgrünen Buchten, die unaufessbaren Berge von Scampi und jene unglaublich unermüdlichen Jungs aus Pontevedra - nach jedem Urlaub dies Gesülze, und Sie, unvorstellbar, hätten dem nichts entgegenzusetzen? Ach was. Sie wissen es doch besser: Alle Urlauber protzen. Alle Urlauber lügen. Alle Urlauber saufen sich ihre drei schrecklichen Wochen schön. Und sollte ein Funken Wahrheit drinstecken - was wären solche Lappalien gegen die Knollenpracht, mit der Ihnen Ihre Radieschen dieses Jahr Ihre sommerliche Anwesenheit gedankt haben?

Nein. Wegfahren ist nix für Sie. Reisen macht einsam und verstört - schon vergessen? Schottischer Haggis, französische Auskunftsbeamte und Deutsche Bahn - das ist die hässliche Fratze, mit der die Welt dem Reisenden gegenübertritt. Hautkrebs liegt in der Luft und Heimweh zieht durchs Gemüt. Ein Untergang auf Raten.

Und was tun Sie? Schlagen alle Warnungen in den Wind. Und buchen. Es ist ein Jammer: Wieder einmal erweist sich die Menschheit als beratungsresistent. Scheint zur Selbstqual geboren, zum Leide gemacht.

Doch sagen Sie nie - nicht in der Schlammbrühe vor Lloret, auf der Orthopädischen von Kitzbühel oder neben Rudolf Scharping auf Sylt -, sagen Sie nie, wir hätten Sie nicht gewarnt. Vernehmen Sie ein letztes Mal unser Verdikt: Vergessen Sie Venedig. Lassen Sie Lhasa. Andorra aus den Augen, Sacramento aus dem Sinn. Verreisen Sie nicht! Reisen ist gefährlich. Es könnte Ihren Horizont erweitern.