Einmal im Monat: die Reise-Kolumne von Uwe Bahn.

Kopfhörer auf, iPod in der Tasche - so stehe ich wartend auf dem Hauptbahnhof in Bochum. Bochum ist tief im Westen, wo die Sonne verstaubt. Da ist es übrigens besser, viel besser, als man glaubt. Meint ein gewisser Herbert, der mit mir hier steht. Nach einer halben Stunde gehe ich rüber zu einem Bahnbediensteten auf Gleis drei. "Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow?" Er schlägt sein Kursbuch auf und sucht nach den Abfahrzeiten. Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sonnabend, Sonntag, jeder Tag ... Stopp! Sag es doch gleich: Der Zug hat Verspätung: "Oh, wann kommst du?", frage nicht nur ich mich, sondern will auch der bierbäuchige Berliner neben mir wissen. Er zwingt mir ein Gespräch auf. "Kreuzberger Nächte sind lang. Erst fangen sie ganz langsam an, aber dann ..." Er liebte ein Mädchen in Spandau, bei der war immer der Mann blau. Interessant.

Ungefragt ergänzt ein Österreicher: Er war noch niemals in New York, er war noch niemals auf Hawaii, ging nie durch San Francisco in zerriss'nen Jeans. Da kommt er von Bochum Hauptbahnhof auch nicht hin, besser mit dem Flieger von Frankfurt. Wind Nordost, Startbahn null drei, bis hier hör ich die Motoren. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Und ich stehe hier und warte auf diesen verdammten ICE.

Die aufgebrezelte Griechin neben mir wird auch langsam ungehalten. Sie steht an der Bahnsteigkante mit einem schläfrigen Esel, den sie alle drei Minuten anherrscht: "Steh auf, du faules Murmeltier, bevor ich die Geduld verlier!" Da erscheint auf dem Bahnsteig eine Reisegruppe, laut grölend und völlig blau. Ich zu ihnen: "Sag mal, von wo kommt ihr denn her?" "Aus Schlumpfhausen bitte sehr!" Na wenigstens ist der Regionalexpress pünktlich.

Neben mir sitzt auf seinem Rucksack ein Schwede, ein Student aus Uppsala. Sieht ein bisschen runtergekommen aus und riecht nach griechischem Wein. Ich frage ihn, ob er Geld für ein Hotel brauche. In akzentfreiem Deutsch erklärt er mir, ein Bett im Kornfeld, das sei immer frei. Es ist Sommer, und es duftet nach Heu.

Drei Ärzte kommen gerade vom HNO-Kongress auf Sylt und warten auf den Anschlusszug nach Amarillo. Der eine Arzt hat solche Sehnsucht, er verliert den Verstand, er will wieder an die Nordsee, er will zurück nach Westerland. Draußen vorm Bahnhof hofft Anton aus Tirol schon seit Stunden auf ein Taxi nach Paris. Wär er bloß in Düsseldorf geblieben!

Da fährt endlich der ICE ein. Der Esel der Griechin reißt sich los, will sofort in den Speisewagen. Sie schreit ihm hysterisch hinterher: "Theo, wir fahr'n nach Lodz!" Mir egal, nur schnell weg. Und dann nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Ich bin in den falschen ICE gestiegen. Nun fährt ein Zug nach nirgendwo, mit mir allein als Passagier.

Ich nehme meinen iPod ab. Vielleicht sollte ich einfach weniger Musik hören. Zum Glück reist noch jemand im Großraumwagen mit. Ich gehe zu ihm hin. Ein cooler Typ mit 'nem Hut. Er beruhigt mich: "Hinterm Horizont geht's weiter."