Ein Maler steht gleich neben dem anderen, hier oben um Sacre Cœur, am Montmartre in Paris. In fünf Minuten kann man eine Karikatur von sich zeichnen...

Ein Maler steht gleich neben dem anderen, hier oben um Sacre Cœur, am Montmartre in Paris. In fünf Minuten kann man eine Karikatur von sich zeichnen lassen, die manchmal sogar eine gewisse Ähnlichkeit hat. Richtige Porträts, in Kreide, dauern etwas länger und sind dann aber auch um einiges teurer. Besonders gut gehen die Geschäfte heute offensichtlich allerdings nicht.

"Überm Kamin macht sich so'n Teil doch bestens", verkündet ein Mann und lässt sich ächzend auf den Campingstuhl eines Malers fallen. Ein außergewöhnliches Modell, ein Kerl von einem Mann. Muskelberge, blonde Mähne, plattgeschlagene Nase, Brillant im Ohr und ein Goldkettchen um den Hals. Nicht schön, aber beeindruckend. Heimathafen, allem Anschein nach: Hamburg St. Pauli.

Der Maler, den er sich ausgesucht hat, ist das genaue Gegenteil von ihm. Klein, dürr, mit scharf geschnittenem Profil und einem schwarzen Lockenkopf, saust er in seinem kreidebestäubten T-Shirt und fleckigen Jeans hin und her und verbreitet Hektik. Ein Pariser Künstler wie aus dem Bilderbuch. Und dauernd ist er am Quatschen: "Voilà, Monsieur, s'il vous plait, Monsieur, pardon ..."

Er bringt den Kopf seines Modells in die richtige Stellung und beginnt zu malen. Der Blonde macht einen langen Hals, schielt aufs Papier und gibt gute Ratschläge: "Den Ohrring muss man erkennen, Ohr-Ring, verstehst du. Und dass mir ja die Augen blau werden, blaue Augen, blau wie Meer ..." Der Maler versteht offenbar nichts, überschüttet ihn aber jedes Mal mit einem französischen Wortschwall, gestikuliert und drückt ihn auf den Stuhl zurück.

Schließlich ist das Bild fertig. Ein schmeichelhaftes Werk. Der Blonde als Mischung aus Arnold Schwarzenegger und dem Guten Hirten. Er sieht nur kurz drauf. Und beginnt schon zu brüllen. Was das denn sein solle? Dieser Zinken im Gesicht und die Blumenkohlohren, was das denn mit seinem Äußeren zu tun habe. Und ob der Kleine vielleicht Tomaten auf den Augen habe?

Der aber richtet sich jetzt zur vollen Größe seiner 160 Zentimeter auf, reißt wutentbrannt die Arme in die Höhe, fuchtelt dem Hünen damit vor dem Gesicht herum und brüllt ihn dann plötzlich im schönsten Schwäbisch an: "Ha, wisset Sie was: Wenn i sie so abgezeichnet het, wie sie in Wirklichkeit ausschauet, vor dene ganze Leit hier, dann detet Sie mich sofort verklage. Wege Beleidigung und übler Nachrede."