Das Gesicht des Chauffeurs umflort ein sanftes Lächeln, als er den Kleinbus vorsichtig in die winzige Parkbucht über dem Strand einfädelt. Zypern, im Süden der Insel. Die Führerin bittet zum Versammeln am Leitplankenblech. Schon wird sie pathetisch: "Das ist der Ort, an dem Aphrodite, die Schaumgeborene, aus dem Meer stieg." An diesem Abend, so fügt sie hinzu, werde Vollmond sein. Da solle man unbedingt zurückkehren an diesen Strand und werde Wunderbares erleben.

Die Verheißung ist gewaltig, die Chance einmalig. Nur bei Vollmond, nur um Mitternacht kann man es schaffen, für immer schön und begehrenswert zu sein und zudem in ewiger Liebe mit Partner oder Partnerin verbunden zu bleiben. So sagt es die Führerin mit andeutungsvollem Lächeln, der Hoteldirektor vom "Aphrodite Hills Resort" mit mildem Grinsen und sogar der griechisch-orthodoxe Pope mit Schalk im graubärtigen Gesicht. Man muss sich am Strand seiner Kleider entledigen, ins Meer steigen und einmal zwischen den zwei Felsen hindurchschwimmen. Hat man seinen liebsten Menschen dabei, fasst man sich beim Schwimmen an den Händen und wird daraufhin nie mehr voneinander loskommen. An der Stelle, an der die antike Göttin der Liebe und Schönheit einst aus den Wellen hüpfte und unter ihresgleichen, den zwölf kanonischen Gottheiten der griechischen Mythologie, für gehörige Unruhe sorgte, der sogar in Kriege ausartete und am Ende die Götterwelt auslöschte. Ja, Liebe und Schönheit ...

"So ein Schmarrn", knurrt plötzlich ein bayerisches Mannsbild. Die Führerin erstarrt. "Es ist die schönste zypriotische Legende", flötet sie. "Ja, mei ...", reagiert der Bayer unwirsch. Ob man mehr hören wolle? Alle nicken. Beseligt legt sie los: Aphrodite erblickte das Licht der mediterranen Welt, als Gaia, die Frau des sexuell umtriebigen Uranos, die Nase voll von dessen Eskapaden hatte und ins Ohr des gemeinsamen Sohnes Kronos giftete, der erzürnt dem Vater die Geschlechtsteile mit einem gezielten Sichelhieb absäbelte, packte und hinter sich ins Meer warf. "Igitt", stöhnt eine Golferin auf. Blut und Samen vermischten sich mit dem Wasser, das wild aufschäumte und Aphrodite gebar. Die Schaumgeborene ging an Land und verbarg ihre Blöße hinter einem Myrtenstrauch. "Mensch, waren die damals bigott", lästert ein jüngerer Reiseteilnehmer. "FKK ist doch ganz natürlich."

Aphrodite heiratete Hephaistos, den Gott des Feuers und der Schmiedekunst. Doch die Göttin der Sinnlichkeit betrog ihn mit Sterblichen und Unsterblichen, und als Hephaistos die Gemahlin einmal in flagranti erwischte, nutzte er den Moment, in dem die Ehebrecher in Schrecken erstarrt waren, stülpte ein Netz über sie und hielt die Gefangenen spöttisch der Götterkolonie hin. So kam es zum sprichwörtlichen "Homerischen Gelächter".

"Interessant", sagt der Gatte der Golferin und fängt sich deren grimmigen Blick ein. "Ich meine, kulturhistorisch gesehen ..." Auch alle anderen haben aufmerksam zugehört. Nachts aber nimmt niemand das Angebot des Hotel-Shuttles zum Strand in Anspruch. Der Zauber der Legende hat sich schon wieder verflüchtigt. Liebe und Schönheit sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.