Heute startet die Erkundung des möglichen Atomendlagers in Gorleben. Minister Sander lehnt es ab, dass Bürger mitentscheiden

Hannover. Allen Protesten zum Trotz endet mit dem heutigen 1. Oktober das zehnjährige Moratorium, ab jetzt wird der Gorlebener Salzstock weiter auf seine Eignung als Endlager für den hoch radioaktiven Atommüll untersucht. Für morgen rufen die Bürgerinitiativen im Wendland zu Protesten auf. Sie fordern eine ganz neue Endlagersuche und ein transparentes Verfahren nach Atomrecht mit Bürgerbeteiligung nach Schweizer Vorbild.

Damit aber stoßen sie in Bund wie Land auf Ablehnung der CDU-FDP-Regierungen. Zwar hat sich der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander gerade bei einem Besuch in der Schweiz angesehen, wie die Endlagersuche dort funktioniert. "Von der Schweiz kann man eine Menge lernen." Die entscheidenden Punkte des Schweizer Konzepts aber lehnt er strikt ab: Volksabstimmung und vergleichende Standortauswahl.

Aus Schweizer Sicht entscheidend ist, dass es kein Endlager geben wird ohne Akzeptanz der Bevölkerung. Weswegen etwa im Jahr 2020, wenn die fachliche Festlegung auf einen Standort erfolgt sein soll, die Bürger in Urabstimmung entscheiden werden, ob sie das Endlagerkonzept für sicher halten, der Bau überhaupt erfolgt.

Eine solche Abstimmung lehnt Sander in Deutschland aber ab, und er begründet das so: "Es ist natürlich ein Vorteil (der Schweiz), wenn es eine solch gewachsene Demokratie, eine Volksdemokratie ist, wo das Verfahren der Volksentscheide so positiv zu bewerten ist. Das kann man auf die Bundesrepublik Deutschland gar nicht übertragen." Wenn man in Deutschland etwa Themen wie die Todesstrafe zur Abstimmung stellte, "werden wir sehr schnell feststellen, dass Volksentscheide bei uns kein praktikables Instrument sind". Mit Blick auf die mehrheitliche Zustimmung der Schweizer zur weiteren Nutzung der Kernenergie und das fast völlige Fehlen einer Protestbewegung sagte Sander mit Blick auf Deutschland: "In Protesten sind wir bestens und auch in der Ablehnung von Dingen sind wir absolut spitze."

Obwohl er die Schweiz als vorbildhaft bezeichnet, will Sander dem Beispiel auch im zweiten zentralen Punkt nicht folgen. Die Schweizer haben sich auf Ton als Wirtsgestein für ein Endlager für hoch aktiven Atommüll festgelegt und jetzt drei geeignet erscheinende Formationen im Blick. Diese werden vergleichend untersucht, und dann soll der Standort gewählt werden, der in puncto Sicherheit der beste ist. Ausdrücklich nur bei Vorliegen von zwei gleich gut geeigneten Standorten, so versichert der Geschäftsführer der Endlagergesellschaft, Markus Ritschli, werden auch andere Faktoren einbezogen wie wirtschaftliche Nebeneffekte, Flächenverbrauch und Auswirkungen auf den Tourismus. Eine solche vergleichende Untersuchung von Standorten auf Eignung allein unter Sicherheitsgesichtspunkten hat es in Deutschland nicht gegeben.

Bei der Entscheidung, den Gorlebener Salzstock auf Eignung zu erkunden, war im Jahr 1977 die Frage der Sicherheit nur eines von vielen Kriterien. Andere Faktoren wie hohe Arbeitslosigkeit, Auswirkungen auf den Tourismus wurden berücksichtigt, besonders wichtig war die Frage, ob es an der Oberfläche genügend Fläche für den damals geplanten Bau eines riesigen Entsorgungszentrums inklusive Wiederaufarbeitung gab.

Noch in der Schweiz aber beharrte Sander darauf, Gorleben weiter ohne Alternativen zu untersuchen. Dabei behauptet nicht einmal der für die Atomaufsicht zuständige Minister, dass die damalige Entscheidung für den Standort Gorleben einwandfrei gelaufen ist. Die Bürger seien beim Auswahlverfahren nicht beteiligt worden, "das muss man bedauern und das hat uns die Probleme eingebracht". Er wolle jetzt für mehr Transparenz sorgen, aber keinesfalls ganz von vorn anfangen. Diesen Vorschlag nennt Sander "unverantwortlich" und verweist auf die bereits absolvierte Forschung. In fünf bis sieben Jahren werde diese Erkundung abgeschlossen sein, sagte der Minister. Nur bei nachgewiesener Eignung werde Gorleben Endlager werden.