Teil 6 unserer Sommerserie “Ich liebe Lüneburg“ führt auf den Turm von St. Johannis

Lüneburg. Manfred Toews geht die Puste so schnell nicht aus. Der 69-Jährige steigt jeden morgen - außer sonntags - die 200 Stufen vom Nordeingang der St. Johanniskirche hinauf zur Glockenstube. Dort angekommen spielt der Lüneburger um kurz vor neun Uhr einen Choral auf seinem Flügelhorn, und zwar vier Mal - in jede Himmelsrichtung einmal. "Ich mache das seit fast 32 Jahren", sagt Toews, "und ich tue das immer noch sehr gern. Ohne das Spiel würde mir etwas fehlen."

Angefangen hat Manfred Toews am 1. Oktober 1978. "Ich arbeitete damals als Diplom-Agraringenieur im Amt für Agrarstruktur in der Alten Ratsmühle vis á vis der St. Johanniskirche. Jeden morgen um neun Uhr hörte ich das Trompetenspiel vom Glockenturm und dann war von einem Tag auf den anderen Funkstille."

Toews hatte sich in seiner Jugend das Trompete spielen selbst beigebracht und war gerade wieder dem Posaunenchor Vögelsen beigetreten. Er meldete sich beim damaligen Pastor, der ihn sofort engagierte. "Die Gemeinde suchte einen neuen Turmbläser und man nahm mich. Ich musste nicht einmal vorspielen", erinnert sich Toews lächelnd. In den ersten Tagen habe er noch Lampenfieber vor jedem Spiel gehabt. "Doch das ist schnell verflogen und bis heute ist es einfach nur eine Freude da oben zu stehen, auf die Stadt zu gucken und zu spielen."

Der Sage nach finanzierten die Sülfmeister den ersten Turmbläser im 30-Jährigen Krieg, der zu Ehren Gottes jeden morgen spielen sollte, auf dass Lüneburg vom Krieg verschont bliebe. "Irgendwann ist diese Tradition eingeschlafen, bis sie nach der Restaurierung des St-.-Johannisturmes in den 70er Jahren wieder aufgenommen wurde", sagt Toews.

Manfred Toews spielt an rund 290 Tagen im Jahr vom Johannisturm. Neben den freien Sonntagen gönnt er sich auch einen Urlaub. Auch jetzt, im Ruhestand, lässt er sich das Spiel nicht nehmen. "Als ich noch in Lohn und Brot war, da habe ich mir um kurz vor neun immer eine kleine Pause genommen. Jetzt ist es für mich ein festes Morgenritual geworden."

Über die gesamte Innenstadt sei das Flügelhorn zu hören. "Bei klarem Frostwetter noch weiter", so Toews. Gespielt wird jeden Tag ein anderer Choral, entsprechend der Jahreszeit. Immer beginnt er im Norden und Osten um kurz vor neun Uhr. Nach dem Glockenschlag spielt Toews zwei weitere Male, nach Süden und zum Schluss nach Westen über den Sand.

Sein Flügelhorn hat in der Glockenstube seit Jahren einen festen Platz in einem Koffer. "Im vergangenen Winter als es so kalt war, sind mir regelmäßig die Ventile eingefroren. Da musste ich mir vor jedem Spiel das Horn zwischen die Beine klemmen, um die Klappen wieder aufzutauen", erzählt der Lüneburger.

Manfred Toews lebt seit 1983 am westlichen Rand der Salzstadt: "Hier ist alles vereint. Eine großartige Atmosphäre durch die historischen Häuser, Gassen und Plätze, eine vielseitige Kultur durch Theater und Kino und eine fantastische Gastronomie." Seine Position als Turmbläser sieht er auch als Möglichkeit, der Stadt etwas zurück zu geben: "Ich bekomme zwar ein kleines Honorar, doch ich würde auch umsonst spielen, weil Lüneburg so schön ist."