Dossier: Warum Stadt und Landkreis der Leuphana einen Zuschuss von sieben Millionen Euro für den Neubau des Zentralgebäudes gewährten

Lüneburg. Stahlblau präsentiert sich der Himmel über Lüneburg am 8. Mai dieses Jahres. Es ist der Tag, an dem auf dem Parkplatz der Vamos-Kulturhalle der Grundstein zum neuen Hauptgebäude der hiesigen Universität gelegt wird. Damit nur ja keine dunkle Wolke die Feststimmung verhagelt, haben die Organisatoren vorsorglich einen temporären Wintergarten aufstellen lassen. Eine lässliche Vorsichtsmaßnahme angesichts des unverhüllten Sonnenscheins, der die Szenerie in mildes Licht taucht.

Als Wissenschaftsministerin Johanna Wanka und Kultusminister Bernd Althusmann (beide CDU) den gezackten Grundstein mit den üblichen Beigaben füllen und verschließen, soll, 66 Jahre nach der Kapitulation Hitlerdeutschlands, gleich in doppeltem Sinn "Tag der Befreiung" gefeiert werden. "Hier wird die Idee eines jüdischen Architekten verwirklicht - das ist von höchster symbolischer Kraft", sagt Wanka auf dem mit dunkelgrauem Filz gepolsterten Podium, als wolle sie sich jegliche weitere Anfeindung des prestigeträchtigen, 60 Millionen Euro teuren Projekts fortan verbeten wissen.

Das dürfte auch ganz im Interesse der geladenen Lokalpolitiker sein, die an diesem Tag mit Plätzen im Auditorium vorlieb nehmen müssen. Vielleicht sind sie aber auch froh, diesmal nicht in der ersten Reihe zu stehen. Denn allzu oft sehen sich Oberbürgermeister Ulrich Mädge und Landrat Manfred Nahrstedt (beide SPD) mit unbequemen Fragen nach Größe, Kosten und Sinn des futuristischen Bauwerks vom Reißbrett des US-Stararchitekten Daniel Libeskind konfrontiert. Die seichte Brise, die zur weihevollen Stunde über den Campus streicht, scheint nun endgültig alle Zweifel zu zerstreuen.

Fast auf den Tag vier Monate später sind unversehens alle bösen Geister wieder auferstanden. Heraufbeschworen hat sie ein neuerlicher Bericht des Landesrechnungshofes (LRH). Darin wird nicht nur eine Finanzierungslücke von geschätzten zehn Millionen Euro konstatiert. Die peniblen Rechner erklären zudem, dass die Finanzierung zu keinem Zeitpunkt gesichert war. Übrigens nicht zum ersten Mal: Bereits im Dezember 2008 und im Juni 2009 kritisiert der LRH die Baupläne.

Trotzdem bewilligt der Haushaltsausschuss des Landtages am 10. Juni 2009 den Landeszuschuss von 21 Millionen Euro, gegen die Stimmen von Grünen, der Linken - und der SPD. "Baukunst und moderne Zweckmäßigkeit verbinden sich auf besondere Weise miteinander, sie erhöhen die Anziehungskraft der Universität vor den Toren von Hamburg", ist Ministerin Johanna Wanka felsenfest überzeugt.

Von Beginn an umgeben Geheimnisse, Gerüchte und Geflunker das geplante neue architektonische Glanzlicht der alten Salz- und Hansestadt. Lange werden Spekulationen um den spektakulären Neubau vom Leuphana-Führungsduo, Präsident Sascha Spoun und "Vize" Holm Keller, eisern dementiert. Das neue Audimax sei ein "Komplettgerücht", es gebe keine Pläne, neue Gebäude auf dem Campus zu errichten, behaupten Ende 2006, Anfang 2007 beide immer wieder unisono.

Dabei werden die Planungen zu dieser Zeit hinter den Kulissen schon emsig vorangetrieben. Im November 2006 besucht Libeskind mit seiner Frau Nina die Leuphana-Chefs in Lüneburg. "Ein rein privates Treffen", heißt es. Am gleichen Tag darf Libeskind unterdessen auch OB Mädge und der Stadtbaurätin Heike Gundermann seine Aufwartung machen und sich ins goldene Buch der Stadt eintragen.

Dass sich Mädge für die Idee eines Audimax begeistern lässt, ist nachvollziehbar. Der Stadt fehlt es seit Jahren an einer repräsentativen Stadthalle. Die Nordlandhalle am Wasserturm ist dermaßen marode und baufällig, dass eine aufhübschende Sanierung wirtschaftlich untragbar wäre. Da kommt dem Stadtoberhaupt die Idee der umtriebigen Uni-Doppelspitze gerade recht. Eine Stadthalle koste heute zwischen 20 und 25 Millionen Euro, wird Mädge später auf einer Bürgerversammlung vorrechnen. Das könne sich Lüneburg nicht leisten, weshalb die Beteiligung am Audimax in Höhe von fünf Millionen Euro für eine 70 000-Einwohner-Stadt "genau das Richtige" sei.

Geködert wird Mädge mit der Aussicht darauf, im großen Saal des neuen Zentralgebäudes der Uni würden zwischen 3000 und 4000 Menschen Platz finden. Als der Stadtrat am 20. April 2007 trotz kritischer Einwände der Fraktionen FDP und Linke die Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt, dem Landkreis und der Leuphana beschließt, ist nur noch von 2500 Plätzen die Rede. Der momentan gültige Entwurf weist eine Audimax-Kapazität von gerade 1200 Plätzen aus - und wäre damit für eine "klassische Stadthalle" deutlich unterdimensioniert.

Mehr noch: Zwar lässt sich die Verwaltung auf Drängen des Stadtrats in Nachverhandlungen mit der Uni 30 Veranstaltungen pro Jahr garantieren. Doch trotz Beteiligung an den Baukosten soll die Stadt bei jeder Nutzung für die Betriebskosten aufkommen. Und wenn zeitgleich kommerzielle oder universitäre Veranstaltungen geplant sind, haben diese Priorität - die Stadt hat das Nachsehen und darf sich dann jedes Mal einen neuen Termin suchen.

Plausibel erscheint die Unterstützung des Audimax durch Stadt und Landkreis, der sich mit zwei Millionen Euro an den Baukosten beteiligt, indes aus einem weiteren Grund. Zum Zeitpunkt des Abschlusses besagter Vereinbarung mit der Universität am 30. Mai 2007 soll die Zahl der Studierenden mittelfristig "deutlich wachsen", auf bis zu 12 000. Das vernehmen die Kommunalpolitiker gern. "Von dem Bauwerk hat die ganze Region etwas, denn eine attraktive Uni zieht mehr junge Leute an", so Landrat Manfred Nahrstedt.

Mehr Akademiker in spe bedeuten mehr (temporäre) Einwohner und damit mehr Kaufkraft, mehr Steuereinnahmen, mehr Landeszuweisungen. Doch auch hier erweisen sich die Prognosen als trügerisch: Die Zahl der immatrikulierten Studenten ist aktuell auf 6365 gesunken. Genau auf diesem Level will Spoun sie auch halten. Am 29. Mai 2010 sagt der Präsident unmissverständlich, dass er das konsolidierte Niveau von 6000 bis 7000 Studenten "für absolut sinnvoll" hält.

Und noch in einem weiteren Punkt hat sich die Stadt dem Willen der Leuphana-Visionäre gebeugt. Damit der Libeskind-Leuchtturm seine volle Strahlkraft entfalten kann, werden kurzerhand bestehende Bauvorschriften modifiziert. Auf dem Campus-Gelände gilt Jahrzehnte eine maximale Traufhöhe von 21 Metern. Für den Bebauungsplan gibt es jetzt eine Ausnahmeregelung - das "einzigartige Gebäude" (Johanna Wanka) darf veritable 38 Meter in den Himmel wachsen. Dabei steht für viele kompetente Kritiker schon jetzt fest, dass es sich mitnichten harmonisch ins Stadtbild einfügen wird. Unter anderem deshalb, weil der für den opulenten Entwurf zur Verfügung stehende Baugrund eigentlich völlig unzureichend sei, da er keine ausreichenden Sichtachsen biete.

Problematisch für die bislang unkritische Haltung von Stadt und Landkreis zu den Audimax-Plänen in ihrer momentanen Fassung dürften auch die sehr konkreten Vorwürfe gegen Uni-Kanzler Holm Keller sein. Der steht vor allem wegen seiner engen privatwirtschaftlichen Verbindungen zu Architekt Daniel Libeskind und der Firma Rheinzink, die die Fassade für den Prunkbau liefern soll, im Visier. Wettbewerbsverstöße und mögliche Verstöße gegen die Antikorruptionsrichtlinien des Landes werden moniert, die das gesamte Projekt Audimax mehr denn je ins Zwielicht geraten lassen. Zeitgleich sind aber wichtige soziale Projekte der Stadt wie die Verbesserung der Migrantenintegration mittels Kulturmittlern oder eine bessere Unterstützung einkommensschwacher Familien zu kurz gekommen.

Trotz aller aktuellen Entwicklungen und der massiven Kritik des Landesrechnungshofes ließ Oberbürgermeister Ulrich Mädge auf Abendblatt-Nachfrage indes noch einmal wissen: "Die Rahmenvereinbarung steht nicht zur Disposition."

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