Roberto, 13, lebt mit der zweiten Spenderleber. Bis 16 Jahre gelten andere Vergabekriterien - sie reichten aber nicht, sagen Experten.

Hamburg. Alles war vorbereitet: Einige Tage nach seinem erstem Geburtstag sollte Roberto A. eine neue Leber erhalten. Seine Mutter Patrycja wollte für ihren schwer kranken Sohn ein Stück ihrer eigenen Leber hergeben; für beide stand also eine große Operation an. Denn trotz einer Wartezeit von einem halben Jahr hatte sich noch kein geeignetes Spenderorgan gefunden. Daher hatte sich seine Mutter nach ausführlichen medizinischen und psychologischen Checks zur Lebendspende entschlossen.

"Doch dann kam der Anruf, ein paar Tage vor der Operation, dass es eine Spenderleber für Roberto gab - und wir mussten sofort in die Klinik fahren", erzählt die 32-Jährige mehr als zwölf Jahre später. "Ich war natürlich erleichtert, dass ich nicht selbst operiert werden musste und mich dadurch viel besser um Roberto kümmern konnte nach der Transplantation." Einige Jahre später der Schock: Auch die neue Leber arbeitete nicht mehr richtig. Wieder landete Roberto auf der Warteliste und wird im Jahr 2004 im Alter von fünf Jahren noch einmal transplantiert.

Nun sitzt der Schüler bei seinem Arzt, Prof. Rainer Ganschow, am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Der 13-Jährige ist glücklich, nach drei Wochen wieder Fußball spielen zu können - bei akrobatischen Übungen in der Schule hatte er sich am Bein verletzt und durfte eine Weile keinen Sport machen. Müsste er nicht jeden Tag seine Medikamente nehmen und regelmäßig zur Blutentnahme und Check ans UKE, würde sich sein Leben nicht sehr von dem anderer Jugendlicher unterscheiden. Roberto nimmt Tabletten, die das Immunsystem unterdrücken und so eine Abwehrreaktion des Körpers gegen das fremde Organ verhindern. Dadurch ist er aber nicht häufiger krank als andere. Von dem Streit der vergangenen Wochen rund um Organtransplantationen hat er nichts mitbekommen. Seine Mutter befürchtet jedoch, dass die Organspendenbereitschaft zurückgehen wird.

Den Grund für Robertos Transplantationen erklärt Ganschow: "Roberto hatte eine Gallengangsatresie, das ist der häufigste Grund für Lebertransplantationen bei Säuglingen. Die Galle aus der Leber konnte nicht abfließen, weil die Gallengänge verschlossen waren, und staute sich." Robertos Eltern merkten es daran, dass der Neugeborene nicht wuchs und vier Wochen nach der Geburt noch eine Gelbsucht hatte. Mit sechs Monaten wurde ihr Sohn auf die Warteliste für eine Spenderleber gesetzt, weil er so krank war und sich nicht richtig entwickelte.

"Viele Eltern denken wie Frau A. an eine Lebendspende für ihren Nachwuchs. Lebendspenden machen zehn bis 20 Prozent der Lebertransplantationen bei Kindern aus", sagt Ganschow. Dies sei nur unter nahen Verwandten und Angehörigen möglich, und es werde genau geprüft, ob die Organspende wirklich freiwillig sei.

Im Jahr 2011 erhielten laut Ganschow 89 Kinder in Deutschland eine neue Leber. Mit Stand Mitte September hat das Team am UKE 21 Lebern bei kleinen Patienten eingepflanzt; 32 Kinder und Jugendliche setzte das Zentrum auf die von Eurotransplant geführte Warteliste für Spenderorgane. "Die Kinder sind mehr oder weniger schwer krank", sagt Ganschow.

Derzeit werden die nach dem Tod gespendeten Lebern nach Dringlichkeit verteilt, also nach der Wahrscheinlichkeit, ob die Patienten die kommenden Monate überleben. Dafür werden drei Laborwerte herangezogen. Ganschow: "Kinder erhalten zusätzliche Punkte in einem zweistufigen Verfahren, zunächst bis zwölf und dann bis 16 Jahre. Das heißt, sie haben einen Vorteil bei der Organvergabe." Oft würden für die Kinder Spenderlebern in zwei Teile geteilt, sodass zwei Kinder oder ein Kind und ein Erwachsener je einen Teil erhalten können. "Wir befürworten, dass mehr Lebern gesplittet werden, denn auch für Erwachsene reicht oft eine Teilleber", sagt Irene Petersen, Vorsitzende des Vereins Leberkrankes Kind. Dann könne mehr Kindern schneller geholfen werden. "Das ist deshalb so wichtig, weil das Säuglings- und Kleinkindalter eine sensible Entwicklungsphase ist, in der bei langen Wartezeiten durch die Lebererkrankung Schädigungen in der Entwicklung auftreten können", sagt die Psychologin.

Sind die Kinder 17 Jahre alt, gibt es keine zusätzlichen Punkte mehr. "Dann stellen sie sich mit den Erwachsenen an", sagt Ganschow. Eine Regelung, mit der nicht nur er unzufrieden ist, sondern viele Experten, die mit leberkranken Kindern zu tun haben. So auch Meike Franke vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Seit 33 Jahren arbeitet die gelernte Kinderkrankenschwester mit lebertransplantierten Kindern und ihren Familien und betreut sie im psychosozialen Bereich. "Ich bin seit den Anfängen der Lebertransplantationen bei Kindern dabei und sehe sie erwachsen werden. Viele haben eine gute Perspektive, wenn sie eine gute Behandlung erhalten", sagt Franke. Sie verlange Disziplin von den transplantierten Kindern: "Kein Rauchen, kein Alkohol trinken, immer die Medikamente nehmen. Viele gehen wirklich diszipliniert ins Erwachsenenleben, im Gegensatz zu den großen, eigentlich gesunden Menschen, die sich die Leber durch Alkohol ruinieren. Da komme ich an meine Grenzen."

Franke stellt sich wie Ganschow die Frage: Sollten die in der Kindheit transplantierten Patienten, die sich über all die Jahre gut verhalten haben, nicht einen Bonus bekommen, wenn sie doch ein weiteres Mal eine neue Leber brauchen? Franke: "Wir müssen über diese Verteilung diskutieren."

Doch warum kommt es in der Pubertät oder bei jungen Erwachsenen dazu, dass der Körper das Organ plötzlich ablehnt, das doch viele Jahre gute Dienste geleistet hat? In fünf bis zehn Prozent der Fälle halten die Organe nicht durch, bei Kindern und Erwachsenen. Nicht immer sind die Gründe bekannt. Die Psychologin Petersen nennt eine der möglichen Ursachen: Die jungen Patienten nehmen ihre Medikamente nicht mehr richtig ein. "Der kritische Zeitpunkt ist in der Pubertät. Die Jugendlichen wollen sich abgrenzen gegen ihre Eltern. Weil sie oft im Säuglingsalter transplantiert wurden, haben sie gar kein Krankheitsgefühl, viele wachsen ja ganz normal auf." Das bestätigt auch Ganschow.

Roberto erinnert sich kaum an die Zeit, in der er schlapp und krank war. Er sieht aber noch vor sich, wie er sich kurz vor der Transplantation von seinen Eltern verabschiedet hatte und das OP-Team ihn umringte. "Das mit dem Einnehmen der Tabletten ist oft nervig", sagt er. Aber er wisse, wie wichtig sie seien. Der St.-Pauli-Fan hat ein Ziel vor Augen: Fußballer werden, vielleicht auch Polizist. "Aus medizinischer Sicht spricht nichts dagegen", sagt Ganschow.