Die Organspende und der Skandal: Sinkt die Spendenbereitschaft? Wie fühlen sich die Betroffenen? Wir trafen Niklas, 13, der auf eine Niere wartet.

Norderstedt. Die Ärzte am UKE sagen, zwei Jahre müsse er mindestens warten auf die neue Niere. Und Niklas Zelaß, 13, hofft natürlich, dass das stimmt. Kinder bis 16 haben einen Bonus, sagen die Ärzte, weil die Transplantation möglichst in der Entwicklungsphase geschehen soll. Die Chancen stehen also gut. Oder doch nicht?

Als Niklas im Fernsehen die Berichte über den Organspendeskandal sieht, über den Verdacht, ein Mediziner habe Patienten gegen Zahlung von Bestechungsgeld auf der Warteliste der Organspende-Empfänger nach oben befördert, kann er es nicht fassen. "Ich habe mit meinem Eltern darüber diskutiert. Das darf doch nicht wahr sein", sagt Niklas. Die Vorstellung, andere Patienten auf der Liste könnten sogar gestorben sein, weil Organe, die ihnen das Leben gerettet hätten, an zahlungskräftige Kranke vergeben wurden, lässt den Jungen nicht los. "Ich weiß, wie das ist, auf ein Organ zu warten. Ich weiß, wie man sich da fühlt", sagt Niklas.

Nach dem Skandal bleiben ein ungutes Gefühl und das Prinzip Hoffnung

Dreimal in der Woche muss der Schüler des Coppernicus-Gymnasiums zur Dialyse, zur Blutwäsche. Im UKE in Hamburg-Eppendorf gibt es eine Abteilung nur für Kinder und Jugendliche. Da liegt er dann, mal drei, mal vier oder fünf Stunden in einem Bett, neben ihm rattert und fiept die Blutwäsche-Maschine, die ihm über einen Katheter in der Brust das mit Kalium, Salzen und Harnstoff verunreinigte Blut entzieht und es dann sauber wieder zurückpumpt. "Die Schwestern, die sich da um uns kümmern, mit denen habe ich über den Skandal schon gesprochen", sagt Niklas. Die hätten das alles genauso schlimm gefunden. Die Ärzte hätten nicht darüber gesprochen. "Aber ich habe auch nicht gefragt", sagt Niklas.

So bleiben ein ungutes Gefühl und das Prinzip Hoffnung. Darauf, dass er nur zwei Jahre warten muss auf die Niere. Und dass in seinem Fall und auf seiner Warteliste alles gerecht zugeht. Mit über 10 000 anderen Deutschen steht er auf dieser Liste. 2011 haben nur 2850 Menschen eine Spenderniere bekommen. Wer nicht, wie Niklas, ein Kind ist, wartet zwischen fünf und sieben Jahre. "Ich kenne welche, die haben 15 Jahre gewartet", sagt Niklas.

Was seine Chancen auf ein Leben ohne Dialyse mutmaßlich mehr verringert als korrupte Machenschaften, ist die mangelnde Spendierfreudigkeit seiner Mitmenschen. Als potenzielle Organspender kommen laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nur Verstorbene infrage, bei denen der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt. Jährlich sterben in deutschen Krankenhäusern etwa 400 000 Menschen, davon etwa ein Prozent am Hirntod. Und von diesen 4000 Hirntoten waren 2011 nur 1799 potenzielle Organspender. Und nur aus 1200 von ihnen wurden schließlich Organe entnommen, darunter knapp 2000 Nieren. Niklas kam schon mit seinem Problem auf die Welt. "Es ist eine angeborene, chronische Niereninsuffizienz", sagt seine Mutter Susanne Zelaß. So lange Niklas ein Kleinkind war, konnten Medikamente die Auswirkungen seiner kaputten Nieren auf den Körper ausgleichen. Nicht jedoch verhindern, dass es bei der Lunge und der Blase zu Entwicklungsstörungen kam. "Bei der Einschulung war dann klar: Entweder Dialyse oder Spenderniere", sagt die Mutter. Lange musste sie nicht überlegen, als feststand, dass eine ihrer Nieren passend für Niklas war. 2005 wurde sie entnommen und ihrem Sohn eingesetzt. Und so lernte der Junge kennen, was für gesunde Kinder banal ist: Das normale Leben ohne Einschränkungen - bis auf die Medikamente, die man als Organempfänger sein Leben lang nehmen muss.

Niklas war ein ganz normaler Junge. Bis 2011. "Ich wurde im Krankenhaus untersucht. Meine Werte waren schlecht. So ging das über Monate: Ständig Kontrollen, ständig zwischen Krankenhaus und Norderstedt hin und her", sagt Niklas. Am Ende steht die ernüchternde Bilanz: Sein Organismus hat Antikörper gebildet, die Niere der Mutter abgestoßen, sie ist zerstört und funktionslos. Im August 2011 hängt Niklas zum ersten Mal am Dialyse-Gerät.

Niklas' Leben wird komplett von der Dialyse getaktet

Und das ist anstrengend, für Körper und Psyche. "Manchmal bekomme ich starke Krämpfe, Kopf- und Bauchschmerzen, und ich muss spucken. An den Dialyse-Tagen komme ich selten vor 20 Uhr nach Hause. Und dann kann ich eigentlich nur noch schlafen", sagt Niklas. In der Schule verpasst er einiges, was er dann nacharbeiten muss. Freitags fällt die Schule für ihn ganz flach, weil er am Vormittag zur Dialyse muss. In der Schule verpasst er einiges, was er dann nacharbeiten muss. Normalerweise soll er bis 14 Uhr im UKE sein. Außer montags. Da hat er in den letzten beiden Stunden Spanisch. "Das will ich unbedingt lernen. Ich gehe erst um 15 Uhr ins UKE und kann so noch eine Stunde Spanisch mitmachen", sagt Niklas. Weil er dann nur drei Stunden Dialyse macht, muss er mittwochs fünf Stunden ran. Die Dialyse taktet sein Leben.

"Ich bin immer wieder erstaunt, wie gelassen Niklas das alles hinnimmt. Und gleichzeitig bin ich stolz auf ihn", sagt Susanne Zielaß. Ihr ist anzumerken, wie sehr die Enttäuschung und der Frust über die so früh gescheiterte Nierenspende für ihren Sohn in ihr wüten. "Es hieß, sie würde 15 Jahre halten", sagt Susanne Zielaß. Und Niklas sagt: "Bei manchen halten sie 25 Jahre oder sogar 50 Jahre!" Positiv denken, das sagen sich Niklas und Susanne Zelaß. Der Anruf werde kommen, die neue Niere da sein und das Warten ein Ende haben. Niklas schaut in die Zukunft: "Erst die Niere bekommen, dann die Schule packen." Dass die Dialyse sein Leben als Erwachsener bestimmen soll, das will er sich nicht vorstellen.