Krisengipfel beschließt schärfere Maßnahmen gegen Manipulationen und erntet dafür sowohl von Grünen als auch von Medizinrechtlern Kritik.

Hamburg/Berlin. Mehr Kontrollen, mehr Kontrolleure und bei nachgewiesenen Manipulationen sollen ganze Krankenhausabteilungen geschlossen werden - das sind die wichtigsten Ergebnisse des Krisengesprächs zu den jüngst aufgetauchten Ungereimtheiten bei der Organspende. Der Präsident der Bundesärztekammer, der Hamburger Arzt Frank Ulrich Montgomery, bezeichnet die Skandale um falsch vergebene Organe in Regensburg und Göttingen als "Desaster" für die Transplantationsmedizin. Es gebe Menschen, die es wegen dieser Affären ablehnten, Organspende-Ausweise auszufüllen, oder die die Organentnahme von verstorbenen Angehörigen verweigerten.

Die Ärztekammer will die Anmeldung von Patienten für die Wartelisten künftig besser kontrollieren lassen. Das sogenannte Vieraugenprinzip könne im Herbst in den Richtlinien zur Organtransplantation verankert werden, sagte der Kammerverantwortliche Hans Lilie nach einer Sondersitzung der Prüfungs- und Kontrollkommissionen. Montgomery ergänzte, der kontrollierende Arzt könne zum Beispiel ein Labormediziner sein. Dem Transplantationsteam dürfe er nicht angehören.

+++ Medizin, die nicht heilt +++

Das war offensichtlich der Knackpunkt im Göttinger Fall. Dort hatte der Arzt vermutlich falsche Laborwerte angegeben, damit seine Patienten noch bedürftiger erscheinen. Dadurch rückten sie auf den Wartelisten nach oben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in mehr als 20 Einzelfällen. Auch im Regensburger Transplantationszentrum, wo der verdächtigte Arzt zuvor tätig war, waren Daten manipuliert worden.

Nun wollen Ärzte, der Spitzenverband der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Organspende transparenter regeln. In einer gemeinsamen Erklärung der Prüfungskommissionen hieß es, man wolle verdachtsunabhängige, flächendeckende Kontrollen der Kliniken einführen und die Prüfberichte veröffentlichen. Bei schwerem ärztlichen Fehlverhalten solle die Approbation entzogen werden. Selbst das Schließen eines Transplantationszentrums müsse möglich sein. Mit diesen Vorschlägen gehen die Beteiligten in das Spitzengesprächs bei Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) am 27. August, sagte Montgomery.

+++ "Das wird in Zukunft viele Menschenleben kosten" +++

Bahr, der mit den Ärzten und seinen Kabinettskollegen derzeit auch heftig um das Thema Sterbehilfe ringt, erklärte gestern: "Ich begrüße, dass die Selbstverwaltungsorgane nun erste Konsequenzen ziehen und erste Vorschläge vorlegen. Das Vertrauen in die Organspende und die Verfahren bei der Vermittlung müssen wieder hergestellt werden. Das gelingt uns nur gemeinsam." Montgomery sagte im Deutschlandfunk, im Fall Regensburg hätten die staatlichen Behörden versagt.

Die Bundesärztekammer teilte mit, seit dem Jahr 2002 seien den Prüf- und Kontrollkommissionen 119 Verdachtsfälle übermittelt worden, daraus seien 20 Verfahren entstanden. In der Überwachungskommission für die Organspende in Deutschland sitzen vor allem Transplanteure, Experten und Juristen. Die Bundesärztekammer führt die Geschäfte der Gremien.

Zu dem sogenannten beschleunigten Vermittlungsverfahren sagte Ärztekammerpräsident Montgomery, die Regeln müssten so gefasst werden, dass es die Ausnahme bleibe. Inzwischen wird ein erheblicher Teil der Organe nach diesem Verfahren vergeben (siehe Grafik). Kritiker sehen dadurch die Gefahr von Manipulationen. In Deutschland arbeiten 50 Transplantationszentren mit 100 Kliniken zusammen, in denen Organe von Verstorbenen entnommen werden. Gut 11 000 Patienten warten derzeit auf ein Spenderorgan.

+++ Organhandel: Bahr fordert lückenlose Aufklärung +++

Beim beschleunigten Verfahren geht es meist um Organe, die aus organisatorischen Gründen oder wegen des Zustands des Spenders (Alter, Erkrankungen) schnell vergeben werden müssen. Solche Organe werden vor allem regional angeboten, nicht aber in den sieben Ländern, die zur Stiftung Eurotransplant gehören. Die Bundesärztekammer weist den Vorwurf zurück, dass es dabei regelmäßig zu Ungereimtheiten kommt. Der Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, verlangte eine "schonungslose Aufklärung". Ein "systematisches Versagen" könne er aber nicht erkennen, sagte Baum. Die Deutsche Hospiz-Stiftung hält die Ergebnisse des Krisengipfels nicht für ausreichend. Vorstand Eugen Brysch sagte, mit diesen Maßnahmen sei noch keine wirkliche Transparenz hergestellt.

Die Grünen forderten mehr öffentliche und staatliche Kontrolle. "Es kann nicht sein, dass in Deutschland Vereine und private Stiftungen über die Organisation des Transplantationswesens und die Verteilung der Organe entscheiden", erklärten die Bundestagsabgeordneten Harald Terpe und Elisabeth Scharfenberg. Denkbar wäre es, die Organspende in die Hände einer Anstalt des öffentlichen Rechts zu legen.

+++ Arzthonorar soll sinken +++

Der Medizinrechtler Thomas Gutmann sagte im WDR, die Politik habe das Problem in den "Graubereich" der ärztlichen Selbstverwaltung abgeschoben, deren "Mitspieler" sich von jeher selbst kontrollierten. Mit der Bundesärztekammer habe man "den Bock zum Gärtner gemacht".