Die vom Bundestag geforderte Zulassung der religiösen Beschneidung ist juristisch höchst umstritten. Die Diskussion verstummt nicht.

Berlin. Dieter Graumann beruft sich auf eine Lebensweisheit: "Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg", sagt der Präsident des Zentralrats der Juden im Gespräch mit der Zeitung "Die Welt". Soll heißen: Es wird sich schon eine Möglichkeit finden, um religiös begründete Beschneidungen bei Jungen gesetzlich zu erlauben. Das müsse sein, "versprochen ist versprochen", sagt Graumann und verweist darauf, dass der Bundestag mit den Stimmen von Union, SPD, FDP und Teilen der Grünen die Regierung zur Vorlage eines Gesetzes aufforderte, das Beschneidungen für "grundsätzlich zulässig" erklärt. Dieses "positive politische Signal" sei wichtig gewesen für die Juden, sagt Graumann, nachdem im Mai das Kölner Landgericht die Beschneidung für rechtswidrig erklärt hatte.

Wie nun eine Klarstellung zugunsten der Beschneidung erfolgen soll, mag der Zentralrat nicht empfehlen: "Es ist jetzt nicht unsere Aufgabe, dem Gesetzgeber konkrete Vorschläge für eine gesetzliche Regelung zu machen", sagt Graumann. "Das sollte zunächst den Fachpolitikern überlassen bleiben."

+++ Recht auf Beschneidung +++

+++ Beschneidung künftig erst mit 14 Jahren? +++

Die aber rätseln. So breit der Konsens in der Sache ist, so weit sind die Rechtsexperten von einem Konsens entfernt, wie man ihn juristisch formulieren könnte. Kein Wunder: Stets stößt man bei dem Thema auf Grundsatzprobleme. Das fängt damit an, dass die Entfernung der Penis-Vorhaut (Zirkumzision) eine Verletzung des Körpers ist. Die ist nur dann keine Straftat, wenn der Betreffende einwilligt. Und wenn diese Einwilligung von den Eltern eines unmündigen Kindes gegeben wird, muss dies mit dessen Wohl begründet sein, müssen starke medizinische Gründe vorliegen. Die gibt es hier nicht.

Mehr noch: Nicht wenige Mediziner sind der Ansicht, dass die Beschneidung schade. In einem offenen Brief an Bundestag und -regierung schreiben rund 400 Ärzte, Psychologen und Juristen, dass "kleinen Jungen durch die genitale Beschneidung erhebliches Leid zugefügt" werde, was "in empirischen Studien ausreichend belegt" sei. Der Erstunterzeichner des Briefes, der Düsseldorfer Psychologe und Psychoanalytiker Matthias Franz, schlägt deshalb in der "taz" vor, man solle "vielleicht" warten, "bis die Jungen selbst entscheidungsfähig sind". Dieser Vorschlag könnte im Islam eventuell umzusetzen sein, weil dort die Jungen in der Regel im Alter von vier bis sechs Jahren beschnitten werden. Das lässt sich womöglich in die Pubertät hinauszögern. Doch für das Judentum gilt, was Gott im Ersten Buch Mose sagt, als er den Bund mit Abraham schließt: "Jedes Knäblein, wenn's acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen."

+++ Graumann sieht Antisemitismus in Debatte um Beschneidung +++

+++Kritik an Beschneidungen wird trotz Resolution lauter+++

Aber auch wenn man die psychischen Folgen für vernachlässigenswert hält und eine fachkundig (de lege artis) durchgeführte Beschneidung bei Jungen als Ausdruck der elterlichen Religionsfreiheit zulassen will, steht man vor der Frage, wo und wie man das im Recht verankern soll. Dass dies keine Kleinigkeit ist, zeigt sich an der anfangs aufgekommenen Idee, man solle es halten wie bei der Abtreibung und die Beschneidung für "rechtswidrig, aber straffrei" erklären. Wie? Die Beschneidung behandeln wie die Tötung von Ungeborenen? Der Vorschlag hat wohl keine Chance. Als unergiebig gilt auch die FDP-Idee, die Zulassung im Patientenrecht abzusichern. Das Patientenrecht bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten. Bei der Beschneidung spielt sich der rechtsrelevante Konflikt aber zwischen dem Jungen und den Eltern ab. Daher plädiert der Göttinger Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig dafür, die Zulassung ins religiöse Sorgerecht der Eltern einzubauen, ins "Gesetz über die religiöse Kindererziehung".

"Man kann nicht die Einwilligung aus religiösen Gründen zulassen und sie verbieten, wenn sie aus nicht religiösen Motiven erfolgt", sagt dagegen Jerzy Montag von den Grünen. Man sollte besser im Sorgerecht sinngemäß klarstellen, dass Eltern bei minderjährigen Jungen in die Vorhautbeschneidung einwilligen können. Unter Bedingungen: "Erstens medizinisch fachgerechte Durchführung, zweitens so weit möglich Schmerzfreiheit und drittens Beachtung dessen, was Juristen als 'natürliches Veto' bezeichnen." Das bedeute, dass die Beschneidung gegebenenfalls zu unterlassen sei, "wenn ein Junge im Alter von drei oder vier Jahren die Beschneidung nicht will".

Montag ist Ärger darüber anzumerken, dass die Juristen sich mit solchen Komplikationen befassen müssen. "60 Jahre lang wurde in der Bundesrepublik die Vorhautbeschneidung bei Jungen in Hunderttausenden von Fällen durchgeführt, und kein Staatsanwalt oder Richter hat etwas dagegen unternommen. Es bestand Rechtsfrieden." Ja, die Beschneidung sei sogar gerichtlich akzeptiert worden. 2001, berichtet Montag, "entschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dass eine muslimische Familie auf dem Weg der Sozialhilfe Geld für die Durchführung der Beschneidung und für das Familienfest bekommt". Daher gebe es jetzt keinen Grund, "aus der einen rechtsfehlerhaften und keineswegs bindenden Entscheidung eines einzelnen Richters am Landgericht Köln in einem verzwickten Einzelfall abzuleiten, es bestehe Rechtsunsicherheit." Bloß "subjektiv" gebe es wegen der erregten Debatte "eine zum Teil befeuerte Beunruhigung, die eine Klarstellung wohl erforderlich macht".