Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland, Henry Brandt, fordert Beschneidungen gesetzlich abzusichern.

Passau/Berlin/Düsseldorf. Der Fall des beschnittenen Jungen, der zu dem umstrittenen Urteil des Landgerichts Köln führte, war medizinisch offenbar brisanter als bisher bekannt. Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ berichtete, kam der Vierjährige zwei Tage nach seiner Beschneidung mit Nachblutungen in eine Kindernotaufnahme. Aus einem Arztbrief, der die Behandlung dokumentiere, gehe hervor, dass dort eine „urologisch-chirurgische Revision“ der Beschneidung „in Vollnarkose“ erfolgt sei.

+++ Rabbiner geißeln Kölner Urteil - Politik sucht Auswege +++
+++ Kritik an Urteil zu Beschneidungen weitet sich aus +++
+++ Muslime rügen Eingriff in ihre Religion +++

Der muslimische Junge sei anschließend für mehrere Tage auf eine Kinderstation gekommen. Auch drei Verbandswechsel hätten in Narkose stattgefunden. In dem Arztbrief stehe weiter, dass die freiliegende Penisoberfläche und die Eichel „uneben, zerfressen und fibrinös belegt“ gewesen seien.

Dem Zeitungsbericht zufolge bescheinigte ein vom Landgericht beauftragter Gutachter dem Arzt, der die Beschneidung vornahm, das der Eingriff „nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt“ worden sei. Nachblutungen seien mögliche Komplikationen nach Beschneidungen. Ein „Behandlungsfehler ist hieraus nicht abzuleiten“, so der Gutachter.

Derweil wird auch in der Politik und Gesellschaft weiter heftig über das Urteil debattiert: Religiös motivierte Beschneidungen müssen nach Ansicht des Vorsitzenden der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland, Henry Brandt, gesetzlich abgesichert werden. „Verantwortungsbewusste Beschneidungen müssen weitergehen dürfen - vollkommen legal und gesetzlich abgesichert“, schrieb Brandt in einem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“. „Es reicht nicht, Beschneidung lediglich straffrei zu stellen. Nur so kann Religionsfreiheit in Deutschland glaubwürdig Bestand haben.“

Der Rabbiner schrieb in Bezug auf das Urteil, er wolle den Richtern keinerlei niedere Motive unterstellen. „Es gibt eben auch schlechte und falsche Urteile. Recht ist beileibe nicht immer auch Gerechtigkeit.“

In der CSU gibt es Bedenken gegen eine gesetzliche Erlaubnis der rituellen Beschneidung von Jungen. Thomas Silberhorn, Obmann der CSU im Rechtsausschuss des Bundestages, sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dass jede Ohrfeige den Tatbestand der Körperverletzung erfülle – „also auch die männliche Beschneidung“. Der Rechtspolitiker fügte hinzu: „Eine Rechtfertigung mit dem elterlichen Sorgerecht oder mit der Religionsfreiheit würde gravierende Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen und kann deshalb nicht vollends überzeugen.“

Silberhorn plädierte stattdessen für eine Straffreistellung. „Ein Beispiel dafür bietet die Regelung der Abtreibung: Sie bleibt rechtswidrig, wird aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft.“

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder (CDU), sagte der Zeitung, es gebe in der Gesetzgebung eine Lücke. „Diese Lücke muss allerdings nicht ein Gericht schließen, sondern der Gesetzgeber, nach gründlicher Erwägung.“

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lässt dem Bericht zufolge prüfen, wie die Beschneidung von Jungen rechtssicher möglich gemacht werden kann. Das Urteil stelle nach Auffassung des Ministeriums einen Bruch mit der überwiegenden Rechtsauffassung dar. Die Formulierung eines Gesetzes sei mit erheblichen rechtstechnischen Schwierigkeiten verbunden. Insbesondere solle ausgeschlossen werden, dass auch Mädchen aus religiösen oder kulturellen Gründen beschnitten werden können.

Das umstrittene Urteil stößt in der Linkspartei auf Zustimmung. Der religionspolitische Sprecher Raju Sharma sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, eine Beschneidung sei ein „schwerer Eingriff“ in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes. Diese habe der Staat zu schützen. Dagegen müssten die auf religiösen Traditionen begründeten Wünsche der Eltern zurückstehen. Insofern sei das Kölner Urteil „im Kern eine zutreffende Güterabwägung“.

(abendblatt.de/dpa/epd)