Die Findung des neuen Bundespräsidenten gestaltete sich kompliziert. Zeitweise stand die schwarz-gelbe Koalition vor dem Zerbrechen.

Berlin. Am Ende eines turbulenten Tages demonstrierten die Parteichefs Einigkeit: Selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die wenige Stunden zuvor noch nachhaltigen Widerstand angekündigt hatte, zeigte sich erfreut, dass Joachim Gauck als Nachfolger von Christian Wulff neuer Bundespräsident wird. Erst kurz zuvor hatte Merkel nach einem stundenlangen dramatischen Ringen eingelenkt und damit einen drohenden Koalitionsbruch abgewendet.

Die FDP hatte überraschend Gauck unterstützt und das schwarz-gelbe Bündnis zeitweise in eine schwere Krise gestürzt. Der Gründungschef der Stasiunterlagen-Behörde, der in einem ersten Anlauf aufs Schloss Bellevue 2010 Wulff unterlegen war, kann sich nun auf eine breite Unterstützung in der Bundesversammlung stützen. Damit werden bald zwei Ostdeutsche an der Spitze des Staates stehen.

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Merkel bezeichnete am Abend beim gemeinsamen Auftritt der Parteichefs von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen im Kanzleramt den 72-jährigen früheren DDR-Bürgerrechtler als "wahren Demokratielehrer", der wichtige Impulse in den Debatten über die Globalisierung, die Lösung der Schuldenkrise und mehr Demokratie geben könne. Gauck war in Umfragen klarer Favorit der Bürger. Gut jeder Zweite hält ihn für geeignet. Gauck sagte bei der Pressekonferenz, er sei kein "Supermann" und müsse sich die Vorschusslorbeeren erst verdienen. An Merkel gerichtet sagte er, das Wichtigste für ihn sei immer gewesen, dass sie ihm Vertrauen und Hochachtung gezollt habe.

Zuvor hatte die Koalition am Rande eines Scheiterns gestanden. Merkel machte bis zum Abend innerhalb der Unionsspitze deutlich, dass sie Gauck nicht unterstützen wolle. Die FDP-Spitze um Rösler hielt aber an Gauck fest. Der Vorstoß der Liberalen löste heftige Reaktionen im Unionslager aus. Die Lage war verfahren, weil die FDP zugleich auch andere von der Union vorgeschlagene Anwärter nicht unterstützen wollte: die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU), weil ihre Wahl ein zu starkes Signal für Schwarz-Grün im Bund wäre. Roth führt seit 2006 in Frankfurt ein schwarz-grünes Bündnis. Der von Union und Rot-Grün gleichermaßen geschätzte Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) fand keine Zustimmung der FDP, weil er zu stark für eine grüne Energiepolitik stehe, hieß es. Der frühere evangelische Bischof Wolfgang Huber stieß bei FDP, Grünen und im katholischen CDU-Flügel auf Vorbehalte.

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Bei den ums politische Überleben kämpfenden Liberalen hieß es während der koalitionsinternen Diskussion um Gauck, nach zwei Jahren der Demütigung könne man nicht mehr alles von der Union schlucken, die in der Präsidentenfrage alle Kompromisse blockiere. "Dass wir Gauck durchgesetzt haben, ist ein Meilenstein", hieß es. Merkel betonte, Gaucks Lebensthema sei die "Idee der Freiheit in Verantwortung". Dies verbinde sie als Ostdeutsche - "bei aller Verschiedenheit" - mit dem Gründungschef der Stasiunterlagen-Behörde. "Unsere Sehnsucht nach Freiheit hat sich 1989/90 erfüllt." SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: "Ende gut, alles gut." Gauck könne die Kluft zwischen Bürgern und politischer Klasse schließen. Horst Seehofer (CSU) bezeichnete die Kür Gaucks als "gute Entscheidung für Deutschland". "Sie haben das Vertrauen der CSU und der Bayern."

Rösler betonte, Gauck könne verlorenes Vertrauen in das Bundespräsidentenamt zurückgeben. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Gauck könne in Zeiten von Rechtsterrorismus in Deutschland viel bewegen: "Joachim Gauck ist jemand, der Demokratie wieder Glanz verleihen kann." Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte: "Ich freue mich, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden kann. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger ist ihm gewiss."