Joachim Gauck hat sich vor allem mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit einen Namen gemacht

Berlin. Müde sieht er aus. Als Joachim Gauck am späten Sonntagabend zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel im Kanzleramt sitzt, muss er sich erst Mal ein Glas Mineralwasser einschenken. Gerade aus dem Flugzeug ausgestiegen und im Taxi war er, als "die Frau Bundeskanzlerin" ihn auf dem Handy erreicht hatte und ihn fragte, ob er nicht Bundespräsident werden wolle. Und er will.

"Es ist mir am wichtigsten, dass die Menschen in diesem Land wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können", sagt Gauck. Gerührt ist er und tief bewegt, das sieht man ihm an. "Und irgendwann ganz tief in der Nacht werde ich auch beglückt sein - im Moment bin ich nur verwirrt."

Es ist genau diese Art von Ehrlichkeit und Menschlichkeit, die man so an ihm schätzt. Gauck, der sich selbst als linken liberalen Konservativen bezeichnet, also der Kandidat, der allen recht ist. Der Union, der SPD, den Grünen und der FDP. Auch der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. In einer Infratest-dimap-Erhebung für die ARD-Sendung "Günther Jauch" sprachen sich am Sonntag 49 Prozent für ihn als Nachfolger von Christian Wulff aus. Schon im Sommer 2010 hatte seine Kandidatur für das Präsidentenamt die nach Orientierung dürstende Bundesrepublik begeistert. Gauck wurde trotz seiner Niederlage gegen Christian Wulff so etwas wie der "Präsident der Herzen" - intellektuell, als Redner begnadet, einer dem man zuhört, wo immer er spricht.

Es sind dabei Sätze wie dieser, die die Menschen beeindrucken: "Wer Ja sagt zu seiner Freiheit, wer sie nicht nur will, sondern lebt, dem fließen Kräfte zu, die ihn und diese Welt verändern." Gauck ist so jemand, der Ja gesagt hat - und der es bis heute tut. Der heute 72-Jährige machte sich einen Namen mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Nach persönlichen Erfahrungen in zwei Diktaturen ist die Freiheit sein großes Lebensthema. Am 24. Januar 1940 kam er als Sohn eines Seemannes und einer Bürokauffrau in Rostock auf die Welt. Im Alter von elf Jahren musste er erleben, wie sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet wurde und für Jahre spurlos in einem Arbeitslager in Sibirien verschwand. Die Mutter erzog Joachim Gauck und seine beiden Geschwister in strenger Ablehnung zur staatlichen DDR-Obrigkeit.

Gauck studierte von 1958 bis 1965 evangelische Theologie und schlug damit einen Berufsweg ein, der ihn in Distanz zum SED-Regime leben lässt. Als Pastor in Rostock wurde er im Herbst 1989 zu einem der Köpfe des kirchlichen und öffentlichen Protests.

Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, übernahm Gauck dann die Leitung der bald nach ihm benannten Behörde für Stasi-Unterlagen. So wurde er zum prominentesten Gesicht der einstigen DDR-Bürgerbewegung. Es war vor allem Gauck, der beständig vor einem Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dem Stasi-Erbe warnte - und damit fast zu einer moralischen Instanz avancierte. Im November 2003 wurde er schließlich Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen - für Demokratie. Die Organisation setzt sich ein für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der DDR-Vergangenheit. Mit seiner Vita entspricht Gauck dem Anspruch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel nur eine halbe Stunde nach dem Rücktritt Wulffs verkündet hatte: Überparteilich soll der neue Bundespräsident sein und Zustimmung finden bei Schwarz-Gelb und Rot-Grün. Beides ist nun der Fall. Ein "wahrer Demokratielehrer" sei der ehemalige Pfarrer, so die Kanzlerin.

Seit vielen Monaten ist Gauck mit seinem Buch, seiner Biografie "Winter im Sommer, Frühling im Herbst" auf Lesereise - und wo er auch auftritt, sind die Säle voll. Er ist fast so populär wie ein Popstar geworden, ein Vorbild, auch für Jugendliche. Vor allem im Internet liebt man ihn - die sogenannte Netzgemeinde forderte schon im Sommer 2010 "Joachim Gauck for President". Am Abend seiner Nominierung sagt er: "Für mich wird sich meine Tätigkeit als reisender Politiklehrer nicht grundsätzlich verändern."

Auch als Bundespräsident will Gauck weiter in Deutschland unterwegs sein und den Menschen von Demokratie und Freiheit berichten. Wichtig ist ihm noch zu sagen, dass man ihm erste Fehler im künftigen Amt gütig verzeihen möge. Man dürfe nicht erwarten, dass er ein "Supermann und ein fehlerloser Mensch" sei. Der frühere DDR-Bürgerrechtler dankte den Parteien ausdrücklich, dass es ein parteiübergreifendes Votum für ihn gebe.