Der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler war bis zum Jahr 2000 erster Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. 2010 war Gauck Christian Wulff in der Bundesversammlung knapp unterlegen. Jetzt ist er Konsens-Kandidat.

Berlin/Frankfurt. Am Ende ging alles ganz schnell. Kaum war SPD-Chef Sigmar Gabriel als letzter beim Treffen der Fraktions- und Parteispitzen eingetroffen, kam die Nachricht, dass die Parteispitzen nur eine Dreiviertelstunde später gemeinsam vor die Presse treten würden. Nach einem scheinbar endlosen Wochenende mit unzähligen Telefonaten und Gesprächsrunde hatten sich CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne auf einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten verständigt: Auf den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, der vor eineinhalb Jahren schon einmal für das Amt kandidiert hatte.

Die Überraschung war perfekt, als um 21.15 nicht nur die Parteispitzen gemeinsam vor die Kameras traten, sondern auch ein sichtlich ergriffener Gauck höchstpersönlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihn unmittelbar angerufen, nachdem sie das Spitzentreffen im Kanzleramt eröffnet hatte. Gauck, noch im Taxi auf dem Rückweg vom Flughafen, stieß zu der Runde, die bei Bouletten und Kartoffelsalat die Wunden des Wochenendes leckte.

Vor nicht einmal zwei Jahren war Joachim Gauck bei der Präsidentenwahl gegen Christian Wulff unterlegen. Nun soll er dessen Nachfolge antreten – als gemeinsamer Kandidat von Union, FDP, SPD und Grünen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie sei sicher, dass Gauck als Präsident wichtige Impulse geben könne. Der sichtlich bewegte Gauck sagte bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt, ihm sei wichtig, dass die Menschen in Deutschland wieder lernen, dass sie „in einem guten Land“ leben. Die Freiheit gebe ihnen „wunderbare Möglichkeiten“ zu einem erfüllten Leben, sagte der 72-Jährige, der an seine Kindheit im Nationalsozialismus und sein Leben in der DDR erinnerte.

+++ Gauck soll Bundespräsident werden: Die Reaktionen +++
+++ Porträt: Joachim Gauck - Freiheit als Lebensthema +++

Der evangelische Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler war bis zum Jahr 2000 erster Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Als Kandidat von SPD und Grünen bei der Bundespräsidentenwahl 2010 war Gauck Christian Wulff in der Bundesversammlung knapp unterlegen, der von Union und FDP unterstützt worden war. Wulff hatte am Freitag seinen Rücktritt erklärt. Er steht wegen Vorgängen in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident unter dem Verdacht der Vorteilsannahme.

Die Wahl des parteilosen Gaucks zum elften Bundespräsidenten gilt als sicher, nachdem am Wochenende Union und FDP auf den Kandidaten der Opposition eingeschwenkt waren. Gauck wird als erster Ostdeutscher an der Spitze der Bundesrepublik stehen. Merkel, die erste aus Ostdeutschland stammende Kanzlerin, sagte, Gaucks zentrales Thema sei die Idee der Freiheit in Verantwortung. Er sei in seinen verschiedenen Funktionen zu einem „wahren Demokratielehrer“ geworden. FDP-Chef Philipp Rösler würdigte den Kandidaten als „Persönlichkeit, die Menschen für Demokratie begeistern kann“. CSU-Chef Horst Seehofer nannte die Nominierung Gaucks „eine gute Entscheidung für unser Land“.

Der Nominierung ging allerdings eine heftige Debatte voraus. Die schwarz-gelbe Koalition sei durch den Streit um den künftigen Bundespräsidenten in die tiefste Krise seit ihrem Bestehen gestürzt, hieß es. Die Koalition soll ernsthaft in Gefahr gewesen sein, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur in Berlin am Sonntagabend aus Kreisen der Union und der FDP. Merkel habe innerhalb der Unionsspitze deutlich gemacht, dass sie den rot-grünen Favoriten Joachim Gauck keinesfalls unterstützen wolle. Die FDP-Spitze wollte aber nicht nachgeben und hat an Gauck als Nachfolger für Wulff festgehalten. Sie konnten sich durchsetzen.

Gauck ist nach mehreren Umfragen klarer Favorit der Bürger. Rund jeder Zweite hält ihn für geeignet. Die FDP hatte sich völlig überraschend einstimmig hinter Gauck gestellt und damit die Union düpiert. Der FDP-Vorstoß löste heftige Reaktionen im Unionslager aus. Die Lage war verfahren, weil die FDP zugleich auch die von der Union vorgeschlagenen Anwärter Töpfer und Altbischof Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, nicht haben wollte. Bei der ums Überleben kämpfenden FDP hieß es, nach zwei Jahren der Demütigung könne man nicht mehr alles von der Union schlucken, die in der Präsidentenfrage alle parteiübergreifenden Kompromisse blockiere. „Wir setzen auf volles Risiko“, sagte ein FDP-Regierungsmitglied.

+++ Die schwierige Suche nach einem gemeinsamen Bundespräsidenten +++

Der Kieler FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hatte zuvor das Verhalten der Union als „peinlich“ bezeichnet. CDU und CSU blockierten Gauck allein, weil sie einen „Gesichtsverlust“ für Merkel fürchteten, sagte Kubicki im ZDF. SPD-Chef Sigmar Gabriel kündigte an, notfalls werde Rot-Grün zusammen mit der FDP Gauck wählen. Das Verhältnis der beiden Ostdeutschen Merkel und Gauck gilt als angespannt. Der Gründungschef der Stasiunterlagen-Behörde hatte 2010 gegen den am Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff kandidiert und erst im dritten Wahlgang verloren.

Die von der Union ebenfalls genannte Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) wurde von der FDP abgelehnt, weil ihre Wahl ein zu starkes Signal für Schwarz-Grün im Bund wäre. Roth regiert seit 2006 in Frankfurt ein Bündnis mit den Grünen. Der mögliche Kandidat Huber stieß bei FDP, Grünen und im katholischen CDU-Flügel auf starke Vorbehalte. Der bei Rot-Grün geschätzte Töpfer fand keine Zustimmung der FDP, weil er zu stark für eine grüne Energiepolitik stehe, hieß es.

(abendblatt.de/Reuters/dpa/dapd/epd)