“Wir sind beschämt“ - Taten der Neonazis nicht rechtzeitig aufgeklärt und verhindert. Parteien wollen gemeinsam gegen Rechtsterror vorgehen.

Berlin/Hamburg. Auf der Regierungsbank erhoben sich Minister und Bundeskanzlerin . In der ersten Reihe blickten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Hans-Peter Friedrich (CSU) immer wieder zu Boden. Die liberale Justizministerin und der Innenminister, der sich in acht Monaten Amtszeit mit der Islamkonferenz, dem Skandal um die Bundestrojaner und nun mit dem Terror von rechts plagt, machen derzeit keinen besonders glücklichen Eindruck. Der politische Streit ist das eine. Die Scham und der Druck, die Mordserie aufzuklären, sind das andere. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verlas eine Erklärung - im Namen aller Abgeordneten. Es ging um Fahndungspannen und falsche Verdächtigungen - und um eine Entschuldigung. "Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten", sagte der Bundestagspräsident.

Auf Leutheusser-Schnarrenberger wartete nach den bewegenden Momenten im Bundestag noch ein Brief des Hamburger Innensenators Michael Neumann (SPD), der dem Abendblatt vorliegt. Darin fordert Neumann die Justizministerin auf, eine Neuregelung zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg zu bringen. "Es ist dringend notwendig, endlich eine rechtliche Grundlage für die Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten zu schaffen." Der Innensenator mahnt zudem, die Justizministerin müsse "ihrer Verantwortung für die Sicherheit in Deutschland gerecht werden". Leutheusser-Schnarrenberger solle ihren Beitrag leisten, die längst überfälligen bundesgesetzlichen Regelungen zu treffen, "um die gravierenden und unverantwortlichen Schutzlücken auf diesem Feld der inneren Sicherheit zu schließen".

+++ Innensenator Neumann für sofortiges NPD-Verbot +++

+++ Kannte die getötete Polizistin ihre Mörder? +++

Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass eine verfassungskonforme Regelung der Speicherung von Telefon- und Internetdaten zweifellos möglich sei, so Neumann. "Dabei stellte das Gericht ausdrücklich fest, dass die Rekonstruktion von Telekommunikationsverbindungen für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung ist." Dieses gelte besonders im aktuellen Fall, in dem die Telefonkontakte der Tatverdächtigen hätten nachvollzogen werden können, kritisierte der Innensenator. Neumann forderte Leutheusser-Schnarrenberger auf, die "ebenfalls seit Langem von allen Fachleuten geforderte Änderung des Paragrafen 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes" voranzutreiben, "damit alle Verfassungsschutzbehörden jeweils auf dem gleichen Erkenntnisstand sind und so gefährliche Informationsdefizite wirksam verhindert werden können".

Auch der Deutsche Richterbund mahnt angesichts der Mordserie eine schnelle Regelung bei der Vorratsdatenspeicherung an. "Eine gesetzliche Regelung ist überfällig. Wir sind europarechtlich dazu verpflichtet", sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, dem Abendblatt. Die Europäische Union hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil die Richtlinie noch nicht umgesetzt ist. Frank sagte, um Strukturen in Tätergruppen zu ermitteln, seien Verbindungsdaten oft der einzige Ansatz. Frank, der selbst als Oberstaatsanwalt arbeitet, sieht im Fall der in Heilbronn getöteten Polizistin ein Grundproblem bei der Aufklärung des rechten Terrors.

Damals war in alle Richtungen ermittelt worden. Trotzdem lagen offenbar nicht alle Erkenntnisse auf dem Tisch. Denn: "Die Geheimdienste sind grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre Informationen an die Staatsanwaltschaften weiterzugeben; sie unterliegen nicht der Strafverfolgungspflicht."

Das stößt auch dem SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier auf, der als Kanzleramtschef und Außenminister viele Jahre Einblicke in die Geheimdienste hatte. Steinmeier erhob im Bundestag schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden. Wenn sich alles bewahrheite, was derzeit auf dem Tisch liege, dann befinde sich der Verfassungsschutz in einer "schweren Glaubwürdigkeitskrise". Es sei "ein ungeheuerlicher Verdacht", dass die V-Leute des Verfassungsschutzes bei Straftaten dabei gewesen sein sollen. Der hessische Verfassungsschutz will jetzt Einsicht in seine geheimen Akten geben. Bei ihren Ermittlungen soll die Generalbundesanwaltschaft bald erfahren, was es mit dem früheren Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes auf sich hat, der bei einem Mord an einem Betreiber eines Kasseler Internetcafés am Tatort gewesen sein soll.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sprach sich gestern in der Bürgerschaft für ein NPD-Verbot aus. Vor dem Hintergrund der rechtsradikalen Mordserie müsse ein "neuer Anlauf gestartet werden, die NPD zu verbieten", sagte er. Innenminister Friedrich sagte, ein NPD-Verbot rotte nicht den geistigen Sumpf aus. "Und dennoch glaube ich, wäre ein Verbotsverfahren oder wäre ein Verbot, wenn es denn erreichbar wäre, sinnvoll", so Friedrich. Der Staat müsste die Partei dann zumindest nicht weiter finanzieren.

Im Jahr 2003 war ein Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, weil zu viele V-Leute in der rechtsextremen Partei waren.