Monika Harms begann ihre Karriere auf St. Pauli. Seit Freitag ist sie nicht mehr Generalbundesanwältin. Die Nachfolger-Suche ist schwierig.

Hamburg. Als Schülerin ging Monika Harms nach der letzten Stunde so oft wie möglich in den Saal des Stadtparlaments im Frankfurter Rathaus. Sie setzte sich auf die Besucherbank und sah Deutschlands größtem Strafprozess der Nachkriegsgeschichte zu. Vier Staatsanwälte und 21 Nebenkläger standen 19 Verteidigern und 22 Angeklagten gegenüber. Die Beschuldigten waren Blockführer, SS-Ärzte, Adjutanten des Kommandeurs oder gehörten zur Lager-Gestapo in Auschwitz. Fast 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versuchte Deutschland damals eine erste große Aufarbeitung der eigenen Verbrechen.

Die Auschwitz-Prozesse hätten sie bis heute begleitet, sagte Monika Harms kürzlich in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Sie sah von ihrer Besucherbank dem Hauptangeklagten Wilhelm Boger ins Gesicht und erkannte die "Banalität des Bösen". Er hätte auch ein gewöhnlicher Postbote sein können.

1963 war das. Nach dem Abitur fing Harms an, Jura zu studieren, in Heidelberg und Hamburg. Im Juni 2006 wurde sie Generalbundesanwältin - und die erste Frau an der Spitze der obersten deutschen Strafverfolgungsbehörde. Sie drang vor in eine Männerbastion als Deutschlands mächtigste Terroristenjägerin. Nach fünf Jahren Amtszeit wurde Harms am Freitag von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in den Ruhestand entlassen. Am Tag zuvor hatte Harms ihren 65. Geburtstag gefeiert. Doch "gewürdigt" wollte Harms von der Ministerin nicht werden. Die beiden Frauen sind, rechtspolitisch verstanden, zwei gegensätzliche Pole. In Fragen wie den Befugnissen der Strafverfolgungsbehörden im Anti-Terror-Kampf stehen sich die liberale Ministerin und die eher konservative Beamtin konträr gegenüber.

Dennoch entließ Leutheusser-Schnarrenberger die Generalbundesanwältin wenigstens mit ein paar lobenden Worten in den Ruhestand. Sie habe sich den Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus und bei der Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht furchtlos gestellt. Die Bundesanwaltschaft sei "zu einem Global Player" geworden.

Nicht immer war Monika Harms furchtlos. An dem Tag im Juni 2006, als sie das Amt antrat, war ihr für einen Moment ein wenig mulmig. In ihrem Kopf schwirrten Bilder vom 7. April 1977, sagte sie einmal der "Zeit". Der Tag, an dem einer ihrer Vorgänger, Siegfried Buback, auf dem Beifahrersitz seines Mercedes von RAF-Terroristen erschossen wurde. Harms wusste, dass ihr neues Amt auch Gefahren mit sich bringen würde. Das Fenster in ihrem Karlsruher Büro ist gepanzert, auch ihr Dienstwagen, für Harms gilt die höchste Sicherheitsstufe. Und sie wusste: "Der Weg zum Versöhnen ist weit." So warnte Harms stets deutlich davor, einen Schlussstrich unter die Diskussion über den RAF-Terror zu ziehen. Unter ihrer Leitung erhob die Bundesanwaltschaft nach neuen Ermittlungen Anklage gegen die frühere RAF-Terroristin Verena Becker wegen Verdachts der Mittäterschaft beim Attentat auf Buback.

Und auch am Tag ihres Abschieds aus dem Amt sprach sie Warnungen aus. "Die dritte Gewalt wird kaum noch wahrgenommen, richterliche Entscheidungen werden infrage gestellt und die Ordnungssysteme des Rechts lösen sich auf", sagte sie. "Wir erleben seit Längerem, dass die Strafprozessordnung und das materielle Strafrecht nicht mehr respektiert werden", sagte Harms. Strafverfahren würden oft durch einen "Deal" der Prozessparteien verkürzt.

Bei ihrer Amtsübernahme vor fünf Jahren wurde Harms gelobt für ihre "freundliche Offenheit" und ihre "Durchsetzungsstärke". Und die neue Generalbundesanwältin setzte gleich in ihren ersten Monaten Erfolge durch: Islamisten versuchten Regionalzüge im Rheinland in die Luft zu sprengen. Sie tarnten ihre Bomben in Koffern. Schon 18 Tage danach nahmen die Ermittler die Tatverdächtigen fest. Doch es gab auch Niederlagen, wie die im Mai 2007, als Harms vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm eine bundesweite Razzia gegen Globalisierungsgegner in die Wege leitete. Die Richter am BGH erklärten die Aktion für rechtswidrig.

Als Harms nach ihrem Studium das Referendariat begann, ließ sie sich freiwillig in das Ermittlungsdezernat auf St. Pauli versetzen. Es sei damals schon wunderbar gewesen, Einzelkämpferin zu sein, sagte sie nach ihrem Amtsantritt 2006. Auch nach den Lehrjahren im Rotlichtmilieu blieb Harms in Hamburg. Als Staatsanwältin war sie sechs Jahre lang Anklägerin für Wirtschaftsstrafsachen in der Stadt. 1980 wechselte sie von der Klägerbank zum Richterstuhl und wurde Richterin am Landgericht Hamburg, drei Jahre später ging sie zum Finanzgericht.

Was auf dem Kiez begann, endete in einer steilen Karriere: Schon 1987 wurde sie Richterin am Bundesgerichtshof (BGH) - im dritten Strafsenat, der sich auch mit Terrorismus, Spionage und Extremismus befasst.

Nach Informationen der "Welt" hat Leutheusser-Schnarrenberger nun auch einen neuen Kandidaten für die Nachfolge von Harms: den Celler Generalstaatsanwalt Harald Range . Der kann als gute Kompromisslösung gelten. Er ist nach einer langen Karriere in der niedersächsischen Justiz fachlich unumstritten, hat das richtige Parteibuch (FDP), ist von der SPD-Regierung unter Ministerpräsident Sigmar Gabriel 2001 zum Generalstaatsanwalt ernannt worden - und vor allem schon 63 Jahre alt. Die "Financial Times Deutschland" machte den Namen am Tag der Harms-Verabschiedung auch öffentlich.

Und doch konnte die Ministerin Range der Behörde noch nicht offiziell präsentieren. "Ich werde mich jetzt an dieser Stelle überhaupt nicht an irgendwelchen Personalüberlegungen beteiligen", sagte Leutheusser. Aus Schaden klug geworden will sie erst sämtliche Bundesländer in ihre Pläne einweihen, "bevor dann ein offizieller Vorschlag auch von Seiten der Bundesregierung in die Öffentlichkeit getragen wird".

Die Vorsicht der Ministerin ist verständlich: Die Blamage mit ihrem ersten Wunschkandidaten, Johannes Schmalzl (FDP) , wirkt offenbar noch nach. Der Stuttgarter Regierungspräsident hatte seine Kandidatur hingeschmissen, als er im Bundesrat mit einer Niederlage rechnen musste. Zuvor war Kritik an seiner fachlichen Eignung aufgekommen - auch die scheidende Generalbundesanwältin hatte in einem Zeitungsinterview durchscheinen lassen, dass sie den 46 Jahre alten Schmalzl für zu unerfahren für die Leitung der Behörde halte.

Auch wenn Harms nun geht und Range kommt - eine "Männerbastion" ist die Bundesanwaltschaft dennoch nicht mehr. 29 Frauen arbeiten dort mittlerweile als Staatsanwälte, auch zwei Bundesanwältinnen.