Beim Atom-Gipfel hat Kanzlerin Merkel dem Stufenplan zugestimmt. Die neun noch laufenden Meiler müssen bis 2022 abgeschaltet werden.

Berlin. Die Bundesregierung hat den von den Ländern geforderten Stufenplan für die Abschaltung von Atomreaktoren bis 2022 akzeptiert. Es werde nicht eine Abschaltung der neun noch laufenden Reaktoren nur in den Jahren 2021 und 2022 geben, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten in Berlin. Vielmehr werde die Novelle des Atomgesetzes völlig deutlich machen, dass jedem der 17 Atomkraftwerke in Deutschland ein Endproduktionsdatum zugeordnet wird. Der "absolute Endpunkt“ sei dann das Ende des Jahres 2022.

Die stufenweise Abschaltung der neun verbleibenden AKW solle durch eine Beschränkung der Laufzeiten pro Atomkraftwerk auf 30 Jahre erreicht werden, sagte Merkel. Eine Begrenzung auf 30 Jahre hatten vor allem SPD und Grüne gefordert. Merkel betonte, die gefundene Regelung solle das Vertrauen in den Atomausstieg erhöhen.

Damit öffnete Merkel die Tür zu einem großen parteiübergreifenden Konsens. Mit der Änderung der ursprünglichen Regierungspläne kann die Gefahr umgangen werden, dass durch Strommengenübertragen von stillgelegten Kernkraftwerken auf verbliebene Meiler die Anlagen allesamt erst 2021 und 2022 vom Netz gehen. Nun sind durch die Begrenzung auf 30 Jahre pro AKW Abschaltstufen in den Jahren 2015, 2017, 2019 und 2021 und 2022 möglich.

Diese Jahreszahlen für die neun noch nicht dauerhaft stillgelegten Kraftwerke nannten Merkel und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Die Kanzlerin sagte, jedem AKW werde ein Enddatum zugeordnet, damit es keinerlei Ausweichmöglichkeiten mehr geben könne. Die letzten drei - das sind die neuesten Meiler - werden 2022 abgeschaltet.

Die umstrittene sogenannte Kaltreserve, wonach ein AKW für den Fall von Stromengpässen vorgehalten werden soll, wird zunächst trotz der Bedenken der Länder bleiben. Allerdings sagte Haseloff, Merkel habe ausdrücklich erklärt, wenn es technisch möglich sei, solle diese Kaltreserve konventionell über Kohle oder Gas sichergestellt werden.

Olaf Scholz lobt Atom-Ergebnisse

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat die Ergebnisse des Atom-Gipfels gelobt. "Nach der Diskussion im Kanzleramt zeichnet sich für mich ein Konsens über das Ende der Atomkraft in Deutschland ab“, sagte Scholz am Freitagabend. Acht Kraftwerke würden sofort abgeschaltet, darunter Brunsbüttel und Krümmel. 2022 sei endgültig Schluss. "Bis dahin müssen Stück für Stück die restlichen Atomkraftwerke abgeschaltet werden“, betonte Scholz.

Es sei vernünftig, dass jetzt ergebnisoffen nach einem geeigneten Endlager in Deutschland gesucht werde. "Nun muss die Windkraftnutzung ausgebaut werden; an Land und auf See. Und es müssen neue Übertragungsnetze entstehen, damit der Strom zu den Verbrauchszentren kommt.“ Die Planungsverfahren sollten beschleunigt werden, forderte Scholz. Große Anstrengungen seien auch bei der Wärmedämmung nötig.

Der Austieg aus der Atomkraftnutzung sei eine ernste Sache. Da verbietet sich jedes parteipolitische Taktieren. "Ich bin froh, dass es nach einem einvernehmlichen Vorgehen aussieht“, sagte Scholz.

Grüne rufen Merkel zu weiteren Atomverhandlungen auf

Derweil haben die Grünen eine Zustimmung zu den Koalitionsplänen für die geplante Energiewende an weitreichende Bedingungen geknüpft. "Wir würden uns über Ihre Bereitschaft freuen, noch vor der Entscheidung in Koalition und Kabinett am kommenden Montag den Versuch einer Einigung mit den Oppositionsparteien zu unternehmen“, schrieben die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin sowie die Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir am Freitag an Merkel in einem Brief. Dabei gehe es nicht bloß um Details, sondern um die Eckpunkte der Koalition insgesamt.

So müsse der Atom-Ausstieg durch eine kontinuierliche Abschaltung der AKW erfolgen, schrieben sie noch vor Merkels Zusage einer stufenweisen Abschaltung. Der Ausbau von Erneuerbaren Energien und von flexiblen Gaskraftwerken müsse forciert werden, verlangten die Grünen weiter. Atom dürfe nicht durch zusätzliche Kohle ersetzt werden. Und es müsse bundesweit offen und vergleichend nach dem besten Endlagerstandort für Atommüll gesucht werden. Ein Konsens in Deutschland scheine möglich.

Studie: 22 Milliarden Schaden für Eon und RWE

Derweil müssen deutsche AKW-Betreibern wegen der beschleunigten Atom-Abkehr mit Vermögensschäden von bis zu 22 Milliarden Euro rechnen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Rund ein Viertel der Marktkapitalisierung von Eon und RWE gingen durch den Beschluss der schwarz-gelben Koalition verloren, bis 2022 alle Atommeiler abzuschalten und die ältesten Kernkraftwerke ab sofort endgültig vom Netz zu nehmen, schreiben die LBBW-Analysten in dem Papier, über das am Freitag auch das "Handelsblatt“ berichtete.

Die Aktien der beiden deutschen Versorger gingen auf Talfahrt: Eon büßte bis zum Nachmittag 1,7 Prozent ein, RWE sackte gar um 3,4 Prozent ab. Unterdessen verlangte der schwedische AKW-Betreiber Vattenfall eine Entschädigung für die Abschaltung seiner AKW vom deutschen Staat.

Die meisten Energiekonzerne haben sich bislang noch nicht konkret zu den Auswirkungen geäußert. Eon-Vorstandschef Johannes Teyssen hatte lediglich von einem Milliardenschaden durch den vorzeitigen Atomausstieg gesprochen. Hierfür fordert der Konzern von der Bundesregierung einen Ausgleich. Ein Wegfall der Brennelementesteuer, den die Branche erwartet hatte, hätte die Vermögensverluste um 5 bis 6 Prozent begrenzt. Eon hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, gegen die Abgabe zu klagen.

Nicht mehr zu halten seien die Prognosen der Unternehmen über die Gewinnentwicklung im laufenden Geschäftsjahr, hieß es in der LBBW-Studie weiter. Bei Eon dürfte das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) 1 Milliarde Euro, bei RWE um 0,7 Milliarden Euro niedriger ausfallen, schrieben die Autoren der Untersuchung. Die Unternehmen hatten bisher 10,7 Milliarden bis 11,4 Milliarden Euro (Eon) beziehungsweise rund 8,6 Milliarden Euro (RWE) prognostiziert.

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Vattenfall will für das erzwungene Aus seiner deutschen AKW entschädigt werden. „Für uns könnte der deutsche Atomausstieg im Geschäftsjahr 2011 hunderte Millionen Euro Verlust bedeuten“, sagte Konzernchef Oystein Løseth der französischen Wirtschaftszeitung "Les Echos“ (Freitag). Die Schlüsselfrage für den Konzern sei daher, ob es eine Kompensation geben werde, und zwar "durch einen Transfer von Stromvolumen von sofort stillzulegenden AKW auf solche, die erst 2022 abgeschaltet werden sollen“. In den Ausbau der schwedischen Atomkraft werde Vattenfall weiter investieren.

Der zu 100 Prozent vom schwedischen Staat gehaltene Konzern besitzt in Deutschland die Mehrheit an den vom Netz genommenen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel und ist zu 20 Prozent am AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein beteiligt. Laut dem am Dienstag beschlossenen Atomausstieg soll Brokdorf etwa 2021 vom Netz gehen. Durch die laut Gesetzentwurf mögliche Reststrommengenübertragung von alten auf neue Atomkraftwerke könnten die verbleibenden neun AKW allesamt erst 2021 oder 2022 abgeschaltet werden.

Die Klage des Energieriesen Eon gegen die Brennelementesteuer sieht der Chef des schwedischen Energieriesen als richtigen Weg; sein Konzern will aber erst abwarten, was die Bundesregierung am Montag konkret vorschlagen will.

Die beschleunigte Energiewende ist nach Ansicht der Analysten der LBBW eine „harte Nuss“ für die AKW-Betreiber. Nur noch für eine zeitlich begrenzten Rahmen könnten die Versorger auf sprudelnde Gewinne ihrer Atomkraftwerke zugreifen. Der Ausstieg sei aber auch mit Chancen verbunden, die den finanziellen Schaden dämpften beziehungsweise kompensieren könnten. (dpa/dapd)