Bemängelt wird vor allem die Ungleichbehandlung der Atomreaktoren. Die SPD will dem Gesetzespaket aber voraussichtlich zustimmen.

Berlin. Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abschaltplans beim Atom-Ausstieg bis zum Jahr 2022 mehren sich. "Ich habe selten so etwas Schlechtes gesehen von der Gesetzestechnik her", sagte der langjährige Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg, gestern. In einer Expertenanhörung des Bundestags-Umweltausschusses betonte Renneberg, es gebe in dem Gesetz keine Begründung für die Ungleichbehandlung der Anlagen, von denen acht sofort stillgelegt werden, die neun restlichen stufenweise bis 2022.

Leutheusser Schnarrenberger hält Atom-Gesetz für nicht angreifbar

Es sei sinnvoller, feste und gleich lange Betriebszeiten für alle Meiler festzulegen, sagte Renneberg. Weil sie meist in unterschiedlichen Jahren ans Netz gegangen sind, wäre so auch eine gestaffelte Abschaltung garantiert. Nach Ansicht von Experten könnte eine nicht ganz klare Begründung für die Abschaltung einzelner Anlagen als Eingriff in Eigentumsrechte vor Gericht angefochten werden. Der Energiekonzern RWE hat bereits die drohende Ungleichbehandlung in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält den Atom-Ausstieg indes für rechtlich nicht angreifbar. "Mit der flexiblen Übertragung der Reststrommengen sind die Eigentumsrechte der Kraftwerksbetreiber gewahrt", sagte die Ministerin dem "Münchner Merkur". Das Umweltministerium habe die fachliche Grundlage für die Energiewende entwickelt. "Wir haben als Koalitionspartner auf eine verfassungsrechtlich vertretbare Ausgestaltung geachtet."

FDP-Generalsekretär Christian Lindner hatte zuletzt den stufenweisen Abschaltplan kritisiert und die Verantwortung für mögliche Klagen und Entschädigungen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer zugewiesen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle distanzierte sich inzwischen vorsichtig von Lindners Vorwürfen: "Ich habe im Koalitionsausschuss keine rechtlichen Bedenken vernommen", sagte Brüderle gestern.

Am Abend wurde bekannt: Nach dem Streit um Atomausstieg und Euro-Rettung will sich Schwarz-Gelb auf einer Klausurtagung wieder zusammenraufen. Im kleinen Kreis wollen die Partei- und Fraktionschefs von CDU, CSU und FDP noch vor der Sommerpause alle Streitfragen auf den Tisch legen.

Die SPD wird dem Atom-Gesetz im Bundestag voraussichtlich zustimmen. Gleichzeitig mahnt die Opposition, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse eine eigene Mehrheit sicherstellen. "Es spricht viel dafür, dass die Sozialdemokraten dem Gesetz zustimmen, wenn der Ausstieg unumkehrbar ist und es dabei bleibt, was zwischen Merkel und den Ministerpräsidenten vereinbart wurde", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Eine Zustimmung zu weiteren Gesetzen des Pakets hielt er jedoch offen.

Netzbetreiber warnen vor hohen Schwankungen im Stromnetz

Die Stromnetzbetreiber sehen mit dem Wegfall von acht AKW eine nur schwer zu beherrschende Situation erreicht. "Wir fahren die Netze kontinuierlich am Limit", sagte der Geschäftsführer des Übertragungsnetzbetreibers Tennet, Martin Fuchs. Es gebe Stunden, in denen 8000 Megawatt Strom importiert werden müssten - das entspricht der Leistung von acht Kernkraftwerken. Seit der Abschaltung von acht Meilern im März hätten sich die Eingriffe zur Stabilisierung des Netzes vervielfacht. Das verursache bis zu 100 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr.