Der Brüsseler Energiekommissar beziffert erstmals Kosten des geplanten Netzausbaus in Europa. Folgen auch für Hamburger Haushalte.

Brüssel/Hamburg. Die Entscheidung der EU, die Energienetze in der Gemeinschaft für rund 200 Milliarden Euro auszubauen, wird zu einer spürbaren Steigerung der Strompreise führen. Der Brüsseler Energiekommissar Günther Oettinger nannte im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erstmals Zahlen: "Es geht um ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde. Damit lassen sich die neuen Leitungen und weitere Speicherkapazitäten finanzieren." Zugleich warnte er: "Wenn wir das Energienetz nicht ausbauen, ist die Gefahr eines Stromausfalls sehr real."

Der geplante Ausbau erneuerbarer Energien wie der Windkraft beeinträchtige die Versorgungssicherheit, hob Oettinger hervor. "Daher brauchen wir perfekte Netze, die Schwankungen ausgleichen können." Die Modernisierung der Energieinfrastruktur hatten die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem jüngsten Gipfel in Brüssel beschlossen.

+++ Das Interview mit Günther Oettinger +++

Legt man Oettingers Richtwert zugrunde, bedeuten die Brüsseler Pläne für einen Hamburger Vierpersonenhaushalt mit einem Stromverbrauch von 4500 Kilowattstunden bis zu 90 Euro Mehrkosten im Jahr oder 7,50 Euro im Monat. Der günstigste Tarif easy beim Hamburger Stromversorger Vattenfall würde sich um rund zehn Prozent von 21,21 auf 23,21 Cent pro Kilowattstunde erhöhen.

Ein zentrales Vorhaben in Norddeutschland ist die Erschließung der Windparks, die vor den Küsten von Nord- und Ostsee entstehen. "Von dort müssen Hochspannungsleitungen in die großen Metropolen führen: Hamburg, Köln, Dortmund", erläuterte Oettinger. "Solche Energieautobahnen können entlang von Bahntrassen und Flüssen verlaufen." Geld aus Brüssel gibt es dafür nicht. Gefördert würden nur Projekte, "die im europäischen Interesse, aber nicht rentabel sind". Als Beispiel nannte der Kommissar die Anbindung des Baltikums. "Die Nordsee dagegen ist ein gutes Geschäftsmodell."

Investitionen müssten privat finanziert werden. "Dazu ist es geboten, die nationalen Regulierungsgesetze zu ändern", so der frühere baden-württembergische Ministerpräsident. "Die Regulierungsbehörden müssen den Energieversorgern ermöglichen, mit einem Teil des Strompreises Rücklagen für Investitionen zu bilden." Nach Oettingers Überzeugung können die Energiekonzerne den Netzausbau nur bewältigen, wenn sie die Kosten teilweise an die Verbraucher weitergeben. Die deutschen Energieversorger seien "im internationalen Vergleich nur mittelgroß". Ihre Wettbewerbsfähigkeit dürfe nicht gefährdet werden.

Der Energiekommissar unterstrich die Notwendigkeit beschleunigter Genehmigungsverfahren: "Wir wollen die Europäer vor der Gefahr eines Blackouts schützen. Dazu ist es notwendig, dass es nicht mehr zwanzig Jahre dauert, bis neue Stromleitungen genehmigt werden, sondern höchstens fünf bis sieben Jahre." Kommunen und Nichtregierungsorganisationen müssten aber weiter in das Verfahren eingebunden sein. Widerstand wie gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 sei nicht zu erwarten, wenn die Entscheidungen gut begründet würden.

Der Hamburger Vattenfall-Chef Pieter Wasmuth kündigte an, dass der Stromkonzern allein in diesem Jahr 207 Millionen Euro in die Erhaltung und die Erweiterung seines Hamburger Stromnetzes investieren will. So soll zum Beispiel das Umspannwerk in Jenfeld komplett erneuert werden. Im Gegensatz zu den geplanten neuen Höchstspannungsleitungen würde diese Investition die Kunden finanziell kaum belasten.