Die Zahlenschlacht um die Kosten der Energiewende hat begonnen. Seriöse Prognosen gibt es kaum. Fest steht aber: Billig wird es nicht.

Hamburg/Berlin. Es ist eine Milliarden-Debatte, die derzeit um den Energieumbau in Deutschland tobt. Seit der Wende in der Atompolitik der schwarz-gelben Regierung ist das Ziel klar: Die Bundesrepublik wird zur Ökostrom-Republik - und zwar schneller als geplant. Dabei sollen die 17 Atomkraftwerke so bald wie möglich vom Netz gehen und durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Seit gestern Abend tagt erneut die von der Bundesregierung einberufene Ethik-Kommission , die die Wege zum schnelleren Atomausstieg beraten soll. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE), Kommissionsmitglied Michael Vassiliadis, stellte klar, die Energiewende werde "kein billiger Spaß werden".

Beim Ausstieg aus der Kernenergie müsse genauer gerechnet werden, sagte er dem Abendblatt. Um die komplette Energieerzeugung in Zukunft auf erneuerbare Energien umzustellen, müsse noch viel geforscht und müssten Milliarden Euro investiert werden. Vassiliadis betonte: "So weit sind wir in der Debatte noch nicht." Tatsächlich wird aber bereits intensiv mit Zahlen jongliert. Das Abendblatt gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen:

Was muss bis zur Energiewende alles getan werden?

Das Stichwort lautet Netzausbau. Damit der Strom etwa von den Windrädern auch in die Haushalte kommt, sind neue Leitungen nötig. "Nach einer ersten Studie fehlen derzeit rund 800 Kilometer, die noch gebaut werden müssen", sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, dem Abendblatt. Bis zur Energiewende bräuchte man zusätzlich etwa 3600 Kilometer Leitungen an Land, dazu käme die Anbindung der Offshore-Windparks und mögliche Investitionen im Verteilnetz. Kostenpunkt: 80 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Zudem müssen auch die Anlagen ausgebaut werden. Dabei geht es um Windräder, Solarparks, Gaskraftwerke, aber auch die Modernisierung von Kohlekraftwerken. Weiterhin wichtig: der Bau leistungsfähiger Energiespeicher, damit wir auch dann nicht im Dunkeln sitzen, wenn einmal Flaute herrscht.

Wie teuer wird der Strom dann für die Verbraucher werden?

Es ist zu erwarten, dass die Energiekonzerne ihre Kosten auf die Verbraucher umlagern werden. Gegenwärtig kostet eine Kilowattstunde (kWh) Strom zwischen 20 und 27 Cent. Im Wesentlichen gehen Experten und Politik von einem moderaten Preisanstieg aus. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erwartet einen halben Cent pro kWh. Die halbstaatliche Deutsche Energieagentur Dena rechnet dagegen mit einer Erhöhung von vier bis fünf Cent. "Bild am Sonntag" zitierte am Wochenende den Vorstandschef eines nicht genannten Energiekonzerns, wonach sogar Preiserhöhungen von bis zu 70 Prozent möglich seien

"Eine seriöse Vorhersage der Strompreise ist erst möglich, wenn die genauen Umstände der Energiewende bekannt sind. Viele wichtige Faktoren sind jetzt noch nicht bestimmbar", stellte Netzagentur-Präsident Kurth jedoch klar. "Die Investitionen beim Netzausbau werden langfristig finanziert, die Spanne reicht hier bis zu 40 Jahre", gab er zu bedenken. "Das würde dann auch eventuelle Strompreiserhöhungen abfedern." Vassiliadis mahnte zudem einen Sozialfaktor für den Strompreis an. Es könne nicht sein, "dass ein Hartz-IV-Empfänger über den Strompreis und das Erneuerbare-Energien-Gesetz die Solaranlage der Besserverdiener mitsubventioniert." Das sei nicht gerecht. Die Ethikkommission sieht er deshalb vor einer gewaltigen Aufgabe und unter hohem Zeitdruck: "Bei der Ethikkommission darf es keine Tabus geben. Alle Zusammenhänge bei der Energieerzeugung, beim Klimaschutz und beim Strompreis müssen auf den Tisch."

Wie teuer wird die Energiewende für die öffentliche Hand?

Eine verlässliche Zahl gibt es nicht - wohl aber eine ganze Reihe an Schätzungen. So berichtete die "Bild"-Zeitung aus Koalitionskreisen, dass sich die zusätzlichen Kosten für einen raschen Atomausstieg auf rund vier Milliarden Euro im Jahr belaufen könnten. Der Betrag ergebe sich unter anderem aus einer stärkeren Subvention von Windparks und Gebäudesanierungen sowie einem schnelleren Ausbau der Stromnetze. In einem Sechs-Punkte-Papier listet Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gemeinsam mit Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) einige weitere Kosten auf: So soll der Bau von Offshore-Windparks etwa mit fünf Milliarden Euro unterstützt werden, die Gebäudesanierung auf zwei Milliarden Euro angehoben werden.

Wie soll die Energiewende nun finanziert werden?

Die Bundesregierung will am 17. Juni ein entsprechendes Gesetz vorlegen und hält sich bis dahin zurück. Fakt ist, dass sie zunächst mit Einnahmeausfällen zu kämpfen hat. Die vier großen Energieversorger haben wegen des Laufzeiten-Moratoriums ihre Zahlungen an den Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien eingestellt. 2011 und 2012 wären so 600 Millionen Euro zusammengekommen. Auch bei der Brennelemente-Steuer wird Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Abstriche hinnehmen müssen. Bis 2016 sollten eigentlich 2,3 Milliarden Euro in die Staatskasse fließen. Für die acht ältesten derzeit stillgelegten Kraftwerke fallen die Zahlungen jedoch derzeit aus.

Vassiliadis hatte bereits eine Art Klima-Cent als Aufschlag auf die Einkommenssteuer vorgeschlagen. Das stieß vor allem in der FDP auf wenig Gegenliebe. "Allein über die Verteuerung der Energie und den Strompreis können wir das nicht finanzieren", sagte der Gewerkschaftschef jedoch. "Die Energiewende muss vom Grundsatz her nach wirtschaftlicher Leistungskraft finanziert werden, nicht nach Energieverbrauch." Das müsse ein gerechtes System sein. Und die Industrie müsse handlungsfähig bleiben. "Dazu kann und muss die Ethikkommission beitragen. Wir sind in Sachen Energie an einem Wendepunkt angelangt."