Schlechte Stimmung im Kabinett: Ministerpräsident Seehofer (CSU) ist für einen Atomausstieg bis zum Jahr 2022, die FDP stimmt dagegen.

München. Streit im Kabinett: Nachdem die FDP ein Veto gegen die Festlegung auf ein Atomausstiegs-Datum eingelegt hat, ist die Stimmung in der bayerischen Koalition auf einen gereizten Tiefpunkt gesunken. Am Rande der Landtagssitzung am Mittwoch kam es zu wechselseitigen Schuldzuweisungen der zerstrittenen Koalitionspartner, der in einem öffentlichen Wortwechsel zwischen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch FDP) seinen Höhepunkt fand.

Trotz der großen Widerstände in der FDP und Teilen der eigenen Partei will sich Seehofer nicht beirren lassen und weiter auf das Jahr 2022 als Zielmarke für die Abschaltung des letzten bayerischen Atomkraftwerks zusteuern. Die Opposition will Seehofer unter möglichst großen Ausstiegsdruck setzen.

"Es muss eine echte Wende geben"

Es gehe um eine historische Entscheidung, ließ Seehofer verlauten. "Das Wichtigste bei solchen Entscheidungen ist Geduld.“ Seehofer hofft, mit der Zusage eines frühen Atomausstiegs die Kernenergie als Streitthema aus den kommenden Wahlkämpfen herauszuhalten. "Das ist für mich das Oberziel, dass wir so viel gesellschaftliche Kräfte wie möglich einbinden.“ Es müsse eine "echte Wende“ geben. "Zu sagen, jetzt legen wir los, um nach zwei Jahren wieder umzukehren, das geht nicht.“

Bereits am Vortag war Seehofer im Kabinett mit dem Versuch gescheitert, der FDP eine Zusage zum Ausstiegsdatum 2022 abzuringen. Nach CSU-Darstellung hatte Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) am Abend vor der Kabinettssitzung Kompromissbereitschaft zugesagt und zumindest das Jahr 2023 in Aussicht gestellt. Auch im Kabinett habe die FDP zunächst Kompromissbereitschaft erkennen lassen. "Es ging um wenige Monate“, so Seehofer. Laut CSU ließ die FDP erst nach einer Sitzungsunterbrechung am Nachmittag einen Kompromiss platzen.

Die FDP wies diese Darstellung jedoch zurück. "Die CSU hat sich in diese Datumsfrage verbissen“, sagte Zeil. Er habe nie etwas zugesagt. Auch Wissenschaftsminister Heubisch äußerte sich bei dem Wortwechsel mit Seehofer: "Ich habe die Zahl 2023 nicht genannt.“ Seehofer wiederum kritisierte, die FDP-geführten Wirtschaftsministerien in München und Berlin könnten beim Atomausstieg "die Fragen nicht beantworten, die sie selber stellen“.

Grund des Widerstands der FDP gegen das von Seehofer gewünschte Ausstiegsdatum ist, dass die FDP zu viele ungeklärte Fragen bei der Umsetzung sieht – von der Finanzierung der erforderlichen Milliardeninvestitionen bis zu ungelösten technischen Problemen.

"Ich verstehe die FDP nicht“, sagte CSU-Fraktionsvize Karl Freller. "Es ist sehr ärgerlich, dass die FDP in der entscheidenden Frage nicht mitzieht. Sie bringt sich meines Erachtens selbst in Gefahr.“

Der FDP-Wirtschaftsexperte Franz Xaver Kirschner dagegen warf der CSU vor, die Bevölkerung über die Folgekosten des Atomausstiegs im Unklaren zu lassen. "Da wird den Leuten etwas vorgegaukelt.“ Kirschner prophezeite stark steigende Strompreise. "Dann muss man die Hartz-IV-Sätze erhöhen, nur damit die Leute ihren Strom noch zahlen können. Man stellt ein Datum in den Raum und kümmert sich nicht darum, wie die Auswirkungen auf die Menschen sind.“ Heubisch warnte, dass ab 2016 eine Stromlücke von 30 Prozent drohe. "Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen.“

Es handelt sich jedoch nicht um einen reinen Parteienstreit, da auch manche CSU-Politiker die FDP-Bedenken teilen, vor allem in der Berliner CSU-Landesgruppe. Auch in der bayerischen CSU-Fraktion gibt es manche Abgeordnete, die sich über die von Seehofer angeheizte Datumsdiskussion ärgern. Die Kommentare der Skeptiker reichen von "unnötig“ bis "verstehe ich nicht“.

SPD, Grüne und Freie Wähler wollen dagegen Seehofer und die Staatsregierung mit vereinten Kräften zum schnellen Atomausstieg treiben. Einen von Seehofer erhofften Konsens wollen sie nur akzeptieren, wenn der Ministerpräsident sich auf ihre Bedingungen einlässt. Die drei Oppositionsfraktionen kritisierten die gescheitere Einigung auf ein Ausstiegsdatum. "Wir werden nicht durchgehen lassen, dass man auf Zeit spielt“, sagte Grünen-Fraktionschef Martin Runge.

"Wer nicht umkehrt, wird 2013 abgewählt“, sagte Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger, und mit Blick auf das Ausstiegsjahr 2022: "Das wäre eine massive Laufzeitverlängerung, die wir nicht mittragen werden.“ Auch die SPD hält 2022 für zu spät. "Der Ausstieg ist in diesem Jahrzehnt möglich“, sagte SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen. (dpa)