Industrieverband BDI und Greenpeace streiten um Folgen für die deutsche Wirtschaft und den Strompreis. Kanzlerin Merkel will abwarten.

Berlin/Hamburg. Der CDU-Wirtschaftflügel beharrt bei der Festlegung eines Datums für den deutschen Atomausstieg auf einer Revisionsklausel. Sollte die Versorgungssicherheit bis dahin nicht durch erneuerbare Energien sichergestellt sein, müsse der Zeitpunkt verschoben werden können, sagte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates Kurt Lauk. „Wir können aus den alten Strukturen nicht aussteigen, bevor die neuen stehen“, warnte er. Unions-Fraktionschef Volker Kauder und Umweltminister Norbert Röttgen hatten sich gegen eine von der CSU ins Gespräch gebrachte Revisionsklausel ausgesprochen. Die CSU fordert als Datum für den Atomausstieg das Jahr 2022. Die Regierung will ihre Vorschläge am 6. Juni auf den Gesetzesweg bringen.

Lauk kritisierte, noch seien zahlreiche Fragen offen: „Wir können nicht sagen, wir machen eine Brückentechnologie, brechen die Brücke in der Mitte ab und müssen dann den Rest schwimmen.“ Zudem wäre es international eine „Lachnummer“, wenn Deutschland aus der Kernenergie aussteige, aber Atomstrom aus dem Ausland importiere: „Wir wollen ein konsistentes Konzept.“ Dazu gehöre auch die europäische Dimension. 40 von 146 Atomkraftwerken stünden in bis zu 50 Kilometern Entfernung zur deutschen Grenze.

Zudem sei unklar, wie die künftige Energie-Infrastruktur aussehen solle. In Richtung der Grünen kritisierte er, man könne nicht in Berlin für 100 Prozent erneuerbare Energie eintreten und dann in der Provinz gegen Leitungstrassen oder Windräder protestieren. Mit Blick auf die Kosten der Energiewende sagte er, für viele Wirtschaftsbereiche wie die Stahlindustrie sei die Preisgrenze erreicht. Viele Betriebe seien bereits abgewandert.

Wenige Tage vor den Entscheidungen der Bundesregierung über den Atomausstieg will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel öffentlich noch nicht festlegen. Sie warte zunächst gespannt auf die Ergebnisse der Energie-Ethikkommission am kommenden Wochenende, sagte Merkel. „Ein paar Tage müssen wir noch warten.“ Zugleich bekräftigte die Kanzlerin, dass es um einen weitreichenden Umbau der Energieversorgung gehe, der die Wirtschaft existenziell berühre. „Es geht hier nicht nur um blanke Jahreszahlen“, sagte sie. Vielmehr solle der Anteil erneuerbarer Energien bis 2050 so stark gesteigert werden, dass „ein komplettes Umdenken“ erforderlich sei. Zentraler Punkt sei dabei auch die Steigerung der Energieeffizienz. Hier lägen noch erhebliche Potenziale brach, sagte Merkel.

Auch der Industrieverband BDI hat sich für eine Hintertür bei der Energiewende ausgesprochen. „Es wäre gefährlich, einen starren Fahrplan zu beschließen, der keine Kontrollmechanismen für mögliche Zielabweichungen enthält“, sagte der Energieexperte des BDI, Christopher Grünewald. Die Unternehmen fürchteten neben steigenden Stromkosten vor allem instabile Leitungsnetze. Das jüngste Abschalten der Kernkraftwerke habe sich bereits auf die Sicherheit der Stromversorgung ausgewirkt. Der BDI will ein jährliches Kontrollsystem, um die Entwicklung von Kosten und Netzstabilität regelmäßig zu überwachen. Um die Industrie zu schonen, müssten auch die Sonderregelungen für Firmen mit besonders großem Stromverbrauch bei der Ökostromförderung beibehalten werden.

Ein von Greenpeace vorgelegtes Gutachten zeigt dagegen nach Angaben der Umweltorganisation auf, dass nur ganz wenige Unternehmen in Deutschland von einer eventuellen Erhöhung der Strompreise negativ betroffen wären. Selbst die Elektrostahlerzeugung und die Papierproduktion würden laut Gutachten keine Wettbewerbsnachteile davontragen. Lediglich bei der Herstellung von Aluminium würde eine Strompreiserhöhung von zehn Prozent zu einer Gesamtkostenerhöhung von vier Prozent führen. Greenpeace fordere die Bundesregierung auf, bei der Unterstützung der energieintensiven Industrie in Zukunft mehr Augenmaß walten zu lassen, um die Kosten für die restliche deutsche Wirtschaft in Grenzen zu halten.

„Der Lärm, den der BDI um die Energiewende macht, steht in keinem Verhältnis zu den angeblichen Belastungen, die die Industrie durch die Energiewende tragen muss“, sagte Thomas Breuer, Leiter des Klima- und Energiebereichs bei Greenpeace. „In Wirklichkeit profitiert die deutsche Wirtschaft von Atomausstieg und Energiewende. Selbst wenn es überhaupt zu höheren Strompreisen kommen sollte, wird Deutschland allein durch die Investitionen in die Energiewende in den nächsten Jahren wirtschaftlich besser dastehen als heute.“

Die Regierungspartei FDP hat sich noch nicht auf ein Modell für den Atomausstieg festgelegt. Zunächst müssten Sachfragen wie Netzausbau, Stromspeicher und mehr Energieeffizienz beantwortet werden: „Erst aus der Klärung dieser Sachfragen ergibt sich ein möglicher Korridor für ein Ende der Kernenergie in Deutschland“, sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Er war als prominentester Liberaler beim Einstieg in den Ausstieg am weitesten vorgestürmt. In der Koalition wird derzeit über einen Zeitraum von 2018 bis 2022 nachgedacht. Lindner betonte, die FDP werde sich nicht am Überbietungswettbewerb bei den Jahreszahlen beteiligen. „Wir wollen eine Energiewende, uns aber nicht von Rationalität und Realismus verabschieden.“ (abendblatt.de/rtr/dpa/dapd)