Ex-Finanzminister Peer Steinbrück stellt in Hamburg sein neues Buch vor - und bringt sich subtil als Kanzlerkandidat ins Gespräch.

Hamburg. Den Kopf gesenkt, das Kinn selbstbewusst vorgeschoben - alles an dem Mann signalisiert: Hier hat einer Lust auf Angriff. Peer Steinbrück , Ex-SPD-Vizechef und Ex-Bundesfinanzminster , ist an diesem Tag in der Heinrich-Heine-Villa des Hamburger Verlags Hoffmann und Campe in Harvestehude erschienen, um sein Buch "Unterm Strich" vorzustellen. Wer Steinbrück an diesem Tag zuhört, seinen in bellendem Ton vorgetragenen Thesen, und wer seine Mimik beobachtet, dieses Wechselspiel aus zusammengepressten Lippen und Haifischgrinsen, dem fallen später mühelos verschiedene Unterzeilen zum Buchtitel eine: "Eine Abrechnung" zum Beispiel, oder auch "Ich bin wieder da".

"Ein Politiker redet Klartext" hat der Verlag das Buch beworben, und das verheißt, dass es an manchen Stellen kracht, dass hier kein Buch für Zartbesaitete vorgelegt wird. Tatsächlich zeichnet Steinbrück auf 480 Seiten ein bedrohliches Szenario der Zukunft: Europa fällt im internationalen Rennen immer weiter hinter Asien und Amerika zurück, hält aber starr an seinen überkommenen Modell eines fürsorglichen Sozialstaats fest, während national denkende Politiker den Wählern wider besseres Wissen versprechen, alles im Griff zu haben.

Das könnte spannend sein, denn Steinbrück war just zu dem Zeitpunkt Bundesfinanzminister, als die internationalen Finanzmärkte zu kollabieren drohten. Zwei Jahre ist es nun her, dass die US-Investmentbank Lehmann Brothers pleiteging und ihr Zusammenbruch die Finanzwelt in einen gefährlichen Schockzustand versetzte. "Wir standen vor einer Kernschmelze", sagt Steinbrück nun, und es klingt nicht übertrieben.

Doch Steinbrück will sich nicht mit einer Rolle als weiser Globalisierungsexperte begnügen. Der 63-Jährige möchte diesen Tag in der Heinrich-Heine-Villa offensichtlich zu etwas anderem nutzen: Statt mit arroganten, maßlosen Bankmanagern abzurechnen, geht er mit seiner eigenen Partei, der SPD, gnadenlos ins Gericht. Der aktuelle Kurs sei unausgewogen und überholt, sagt Steinbrück. "Die SPD hat in den letzten zwei Monaten vor allem die Rentner und Transferempfänger angesprochen, aber nicht die Generation der Jüngeren." Die Partei müsse sich öffnen und solle sich nicht mehr allein auf die klassischen Arbeitnehmer-Milieus konzentrieren, forderte Steinbrück. Die Entscheidung von SPD-Chef Sigmar Gabriel, sich von der Rente mit 67 wieder zu verabschieden: ein Fehler. Mit einem Satz: Die SPD ist Peer Steinbrück viel zu links geworden.

Der andere Teil der Botschaft an diesem Tag lautet: "Seht her, hier läuft sich gerade ein neuer Spitzenkandidat warm!" Natürlich spricht Steinbrück diesen Satz nicht aus. Stattdessen antwortet er auf die Frage, ob er sich als Kanzlerkandidat für seine eigene Partei empfehle, indirekt: Er beteilige sich nicht an Personalspekulationen, aber "ich stünde zur Verfügung, wenn ich gerufen würde. Aber ungefragt werde ich mich nicht zur Verfügung stellen." Zumal es ja noch drei Jahre bis zur nächsten Wahl seien.

Später, im direkten Gespräch, bügelt Steinbrück das Thema unwirsch ab: "Ich habe ein Buch geschrieben und Deutschland hat größere Sorgen, als sich mit meinen Zukunftsplänen zu beschäftigen", sagt er dem Abendblatt. Er klingt dabei ein bisschen wie eines seiner politischen Vorbilder, der Altbundeskanzler Helmut Schmidt. "Dass man sich zur Verfügung stellt, wenn nach jemandem gerufen wird, ist doch fast schon banal. Das hat mit Verantwortungsethos zu tun, sich nicht einfach vom Acker zu machen", sagt Steinbrück. Und doch: Die Botschaft ist auf den Weg gebracht. Der Absender, von dem Sigmar Gabriel im Mai gesagt hat, er würde sich auch als Kanzlerkandidat eignen, hat tatsächlich für alle sichtbar die Hand an den Hut gelegt - er muss ihn nur noch in den Ring werfen. Der Mann hat Mumm, das muss man ihm lassen. Denn einerseits wirbt Steinbrück mit seinem Buch für einen Kurs, von dem sich die SPD gerade entfernt, um für ihre linke Wählerschaft wieder an Profil zu gewinnen, beispielsweise mit der Abkehr von der Rente mit 67 und der Distanzierung von der Agenda 2010. Genau dagegen wendet sich Steinbrück, wenn er nun eine Richtungsänderung fordert.

Noch aus einem anderen Grund dürfte sein selbstbewusstes Auftreten für viele SPD-Mitglieder als Provokation empfunden werden. Denn der Ex-Finanzminister hat zwar zahlreiche Ämter bekleidet, bei Wahlen bislang aber nur wenige Lorbeeren eingeheimst. Als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen verlor er die Landtagswahlen 2005 deutlich, die "Herzkammer der Sozialdemokratie" fiel damals an die CDU von Jürgen Rüttgers. Bei der Bundestagswahl 2009 zog Steinbrück zum ersten Mal ins Parlament ein, wurde aber nur über die Landesliste Abgeordneter. Als seine Partei aus der Regierung ausschied, trat er als stellvertretender Parteivorsitzender zurück - aber nicht ohne noch mal im "Spiegel" mit der SPD abzurechnen.

Überraschend war das damals allerdings nicht: Dass Steinbrück trotz seines hanseatischen Gemüts den Krawall und den Angriff mag, durfte man schon in seiner Zeit als Finanzminister sehen, als er Steueroasen wie der Schweiz "Zuckerbrot und Peitsche" androhte. Das Unverblümte gefiel vielen, nicht nur in seiner Partei.

Auch mit der Tatsache, dass er als Finanzminister zusammen mit Angela Merkel die Bundesrepublik relativ unbeschädigt durch eine der größten Wirtschaftskrisen steuerte - wie sein Buch nun nochmals hervorhebt -, lässt sich politisch wuchern. Steinbrück ist passionierter Schachspieler.

Nun hat er seinen Zug gemacht. Die Partie ist eröffnet.