Schleswig-Holsteins CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher über mangelnden Sparwillen in Berlin und den Wert der Wehrpflicht.

Hamburg. Er will Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden. Zwei Wochen vor dem Parteitag besucht der designierte Landeschef der CDU die Abendblatt-Redaktion. Im Interview skizziert Christian von Boetticher seinen Weg an die Macht in Kiel - und kritisiert die Bundesregierung.

Hamburger Abendblatt:

Herr von Boetticher, Sie sind mit 17 der CDU beigetreten, haben Jura studiert und sind Mitglied einer studentischen Verbindung geworden. Sie sind adelig, Oberleutnant der Reserve und Ehrenritter des Johanniterordens. Sie entsprechen geradezu dem Klischee eines Unionspolitikers ...

Christian von Boetticher:

Na, hören Sie mal! Den typischen CDU-Politiker gibt es schon lange nicht mehr. Wir haben eine enorme Bandbreite mit sehr unterschiedlichen Charakteren.

In der CDU vollzieht sich ein Generationswechsel. Stärkt das die Partei?

Von Boetticher:

+++ Fingerzeig der CDU: Boetticher wird Carstensens Nachfolger +++

Ja, das glaube ich. Jetzt kommt eine Generation, die den Gedanken der Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. Wir dürfen nicht auf Kosten der nächsten Generation leben. Das betrifft die Umweltpolitik und auch die Finanzpolitik.

Gibt es Politiker, die Sie vermissen?

Von Boetticher:

Ich vermisse Friedrich Merz und Roland Koch. Koch war einer der klügsten Köpfe der Union. Und Merz hat den Wirtschaftsflügel repräsentiert, der bei der letzten Wahl zur FDP abgewandert ist.

Wir hätten gedacht, Sie nennen Ole von Beust. Oder zumindest Peter Harry Carstensen ...

Von Boetticher:

Beide haben natürlich ihre jeweiligen Länder auf Bundesebene energisch vertreten. Aber sie waren keine CDU-Bundespolitiker im klassischen Sinne.

Wollen Sie die Staatskanzlei in Kiel noch vor der Wahl übernehmen?

Von Boetticher:

Am 18. September habe ich einen Parteitag, bei dem mich der Ministerpräsident als CDU-Landesvorsitzender vorschlagen wird. Peter Harry Carstensen ist für die gesamte Legislaturperiode gewählt. Es ist seine Entscheidung, ob er den Stab vorzeitig an mich weitergibt. Über diese Frage haben wir bisher nicht gesprochen.

Wann wollen Sie die Wahl abhalten?

Von Boetticher:

Das Landesverfassungsgericht hat uns eine Frist bis Mai 2011 gesetzt, um das Wahlrecht zu ändern, und die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 begrenzt. Die Wahlrechtsreform ist eine komplizierte Sache. Das Gericht hat die Frist mit Bedacht gewählt. Ich warne deshalb vor Schnellschüssen.

Die FDP ist auf fünf Prozent abgesackt, Schwarz-Gelb in Umfragen weit von einer Regierungsmehrheit entfernt. Können Sie sich einen anderen Koalitionspartner vorstellen als die Liberalen?

Von Boetticher:

Wir regieren gut mit den Liberalen. Diese verlässliche Koalition wollen wir fortsetzen. In Schleswig-Holstein gehen CDU und FDP ganz anders miteinander um als im Bund. Aber richtig ist, dass man nach einer Wahl sehen muss, wie die Mehrheiten sind.

Wie denken Sie über Schwarz-Grün?

Von Boetticher:

Wir werden schauen, mit welchem Partner wir das CDU-Programm am besten verwirklichen können. Wir haben mit großem Interesse den Versuch von Robert Habeck registriert, bei den Grünen eine Heimatdebatte anzustoßen. Leider ist er gescheitert. Auch die Erfahrungen in Hamburg machen Schwarz-Grün für mich nicht gerade zur Wunschkoalition. Eine solche Schuldebatte würde ich Schleswig-Holstein gerne ersparen.

Woran werden die Menschen merken, dass Carstensen nicht mehr Ministerpräsident ist?

Von Boetticher:

Er ist es ja noch eine Weile. Ich arbeite hart daran, ein überzeugender CDU-Landesvorsitzender zu werden. Wir müssen unsere Mitglieder und Stammwähler mehr informieren und mitnehmen. Denn diese sind es, die den Bürgern vor Ort die Politik der CDU vermitteln und erklären.

Schleswig-Holstein hat einen radikalen Sparkurs eingeschlagen. Setzen Sie ihn gegen alle Widerstände fort?

Von Boetticher:

Natürlich. Was wir gemacht haben, müssen alle anderen Bundesländer und der Bund auch machen. Wir brauchen Haushalte, die dauerhaft ohne Neuverschuldung auskommen. Viele haben das noch nicht verstanden.

Und so wollen Sie die Wahl gewinnen?

Von Boetticher:

Sie werden sich noch wundern! Wir werden die erste Partei sein, die den Menschen im Wahlkampf schonungslos die Kürzungen vor Augen führt, die wir hinterher auch umsetzen werden. Unsere Vision ist, dass Schleswig-Holstein bis 2020 zu einem der deutschen Spitzenländer wird. Beim Wirtschaftswachstum und den Arbeitsplätzen wollen wir es mit Bayern und Baden-Württemberg aufnehmen. Grundlage dafür ist ein Haushalt ohne neue Schulden.

Sind Sie denn vom Sparpaket der Bundesregierung überzeugt?

Von Boetticher:

Ich habe den Eindruck, dass man im Bund noch nicht überall verstanden hat, dass wir keine Einnahmeprobleme haben. Es kann nicht vorrangig darum gehen, die Steuern weiter zu erhöhen. Das Problem sind die Ausgaben. Hier muss die Bundesregierung noch stärkere Akzente setzen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Von Boetticher:

Ich will den einzelnen Bundesministerien keine Vorgaben machen. Aber ich habe schon den Eindruck, dass es in den wenigsten Ressorts eine Sparphilosophie gibt. Viele Fachminister sind sehr erfolgreich darin, mögliche Einsparpotenziale vor dem Finanzminister zu verschleiern. Da wird getrickst, was das Zeug hält. Der Sparkurs muss endlich von jedem Ressort akzeptiert und vertreten werden.

Die FDP fordert Steuersenkungen ...

Von Boetticher:

Das ärgert mich ungeheuer. Bund und Länder müssen sich an die Vorgaben der Schuldenbremse halten. Wenn wir jetzt die Steuern senken, nur weil die Wirtschaft seit ein paar Monaten wieder wächst, können wir unsere Sparbemühungen gleich über Bord werfen. Meine Bitte an die Bundesspitze der FDP wäre: Gehen Sie in Klausur mit Vertretern der Bundesländer und lassen sich erklären, was jetzt geboten ist.

Verteidigungsminister zu Guttenberg will sparen - auch bei der Wehrpflicht.

Von Boetticher:

Karl-Theodor zu Guttenberg ist eine Ausnahme. Er bemüht sich ernsthaft, während andere Minister sich einen schlanken Fuß machen. Leider spart der Verteidigungsminister an der falschen Stelle.

Die Wehrpflicht soll unangetastet bleiben?

Von Boetticher:

Es war ein großer Fehler, die Dienstzeit von neun auf sechs Monate zu verkürzen. Damit ist das Grab für die Wehrpflicht schon geschaufelt. In der Bundespolitik wird nur noch darüber diskutiert, was an die Stelle von Wehr- und Zivildienst treten kann. Stattdessen müsste man sich den Wert der Wehrpflicht noch einmal klar vor Augen führen.

Der wäre?

Von Boetticher:

Die Wehrpflicht verankert die Bundeswehr in der Gesellschaft. Wehrdienstleistende lassen sich nicht alles gefallen. In Freiwilligenarmeen geht die Qualität verloren, der Kadavergehorsam nimmt zu. Berufsarmeen ziehen Soldaten an, die keine Berufsausbildung haben oder sogar straffällig geworden sind. Briten und Franzosen, die sich von der Wehrpflicht verabschiedet haben, beneiden die Bundeswehr um ihre Professionalität. Karl-Theodor zu Guttenberg wird sein Vorhaben, die Wehrpflicht auszusetzen, sehr genau begründen müssen.

Politik ist nicht mein Leben, sagte Roland Koch, als er zurücktrat. Würden Sie das auch von sich sagen?

Von Boetticher:

Ja. Meine politische Laufbahn ist eher zufällig verlaufen. Ich bin mit 28 Jahren ins Europaparlament gewählt worden. Fünf Jahre später wollte ich zu einem internationalen Konzern wechseln. Kurz bevor ich nach Amerika fliegen wollte, musste ich mit einer schweren Magen-Darm-Infektion ins Krankenhaus. Ich lag am Tropf, da kam eine Krankenschwester mit einem Telefon herein und sagte: Ich störe Sie ja nur sehr ungern, aber ein Herr Carstensen ist in der Leitung. Peter Harry Carstensen fragte, ob ich bereit wäre, nach einem Wahlsieg Landwirtschafts-minister zu werden. Ich hatte acht Infusionstropfen Zeit, mich zu entscheiden - und bin in der Politik geblieben.

Sie werden manchmal "Küsten-Ole" genannt. Können Sie sich einen ähnlichen Abgang vorstellen wie von Beust?

Von Boetticher:

Ich habe vor Ole von Beust großen Respekt. Von abrupten Abtritten halte ich allerdings nicht so viel. Politische Ämter habe ich immer als Ämter auf Zeit begriffen. Ich lehne es ab, mehr als zwei Wahlperioden im selben Amt zu bleiben.

+++Gericht überprüft Sitzverteilung – Schwarz-Gelb auf Kippe?+++

Einen Ministerpräsidenten von Boetticher gäbe es also höchstens zehn Jahre?

Von Boetticher:

Ein Ministerpräsident von Boetticher würde mit Sicherheit nicht versuchen, irgendwelche Langzeitrekorde zu brechen.

Das Gespräch führten Jochen Gaugele, Berndt Röttger und Christian Unger