Bis Ende September 2012 müssen die Schleswig-Holsteiner neu wählen. Politologe Joachim Krause hält das Urteil für verfassungswidrig.

Schleswig. Der Showdown in Schleswig lockt die erste Garde der Landespolitiker an. Auf dem Flur vor dem größten Gerichtssaal spekulieren CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher und einige Meter entfernt SPD-Chef Ralf Stegner angespannt über das Verfassungsgerich t und den drohenden Generalverriss des Wahlrechts. Plötzlich schlendert der frühere Justizminister Uwe Döring (SPD) gut gelaunt vorbei und gibt seinen Nachfolgern im Landeshaus noch einen mit.

"Ich habe die Barschel-Affäre miterlebt, den Rücktritt Engholms und war dabei, als Heide Simonis im Landtag gemeuchelt wurde", erzählt Döring. "Da lasse ich mir doch die Urteile des Verfassungsgerichts nicht entgehen", schmunzelt der Ex-Minister und setzt sich hinten in den Saal. Um Punkt 12 Uhr wird es ernst. Gerichtspräsident Bernhard Flor und seine sechs Kollegen schreiten zur Richterbank, alle in eigens kreierten blaugrauen Roben mit weißem Beffchen.

Flor macht es spannend, begrüßt zunächst die Anwälte, dann die Landtagsabgeordneten. Wie CDU und SPD haben Grüne, Linkspartei und SSW ihre Fraktionschefs entsandt. Flor steht auf und gibt damit das Signal, dass er nun den Tenor der Urteile verkündet. Es wird totenstill. Flor widmet sich zunächst dem Normenkontrollverfahren, mit dem Grüne und SSW das Wahlgesetz grundsätzlich angreifen. Flor geht auf das Wahlrecht ein, formuliert den ersten entscheidenden Satz. Mehrere Paragrafen des Wahlgesetzes "sind in ihrem Zusammenspiel mit der Landesverfassung unvereinbar".

Politiker der Opposition atmen durch, ein Vertreter der Regierungsparteien fasst sich an die Stirn, als Flor gleich danach den Spruch zu den Wahlprüfungsbeschwerden verkündet. Der Landtag muss das Wahlrecht bis Mai 2011 verfassungskonform machen, bis September 2012 "eine Neuwahl herbeiführen". Der Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause ist der Ansicht, dass das Urteil verfassungswidrig ist.

+++Gericht überprüft Sitzverteilung – Schwarz-Gelb auf Kippe?+++

Stegner lächelt, von Boetticher nicht. Erst als Flor klarstellt, dass das Gericht die Mandate im Landtag nicht neu verteilt, wirkt der Fraktionschef erleichtert. Die Einstimmenmehrheit von CDU und FDP hat Bestand, auch wenn sie eigentlich gegen die Verfassung verstößt. Auch bei anderen Spitzenpolitikern weicht die Anspannung. Flor spricht weiter, bemüht sich um Formulierungen, die auch Nichtjuristen verstehen. Die Urteilsverkündung ist öffentlich. Nach einer halben Stunde zieht sich der Senat zurück und überlässt den Politikern das Feld.

Stegner strahlt. "Das Wahlgesetz in Schleswig-Holstein ist in allen wichtigen Punkten verfassungswidrig." Dass die SPD die Paragrafen im Jahr 2003 trotz Verfassungszweifeln gemeinsam mit der CDU beschloss, erwähnt er am Rande, spricht über Demut und Selbstkritik. Einen Wimpernschlag später ist Stegner bei der CDU und dem Sommer 2009, als Ministerpräsident Peter Harry Carstensen die Große Koalition aufkündigte und die SPD in der vorgezogenen Neuwahl im September in die Opposition schickte. "Manchmal sind schnelle Siege nicht von Dauer."

Stegner redet sich in Rage, rechnet mit Schwarz-Gelb ab. Carstensen regiere auf der Grundlage eines verfassungswidrigen Wahlrechts, sei sozusagen nur noch geschäftsführend im Amt. Ob Stegner die SPD in die Neuwahl führen will, verrät er nicht. Zu groß scheint die Sorge, dass eine Parteirevolte ihm das Comeback vermasselt.

Von Boetticher hält dagegen. "Wir sind politisch voll legitimiert." Die Regierung werde ihre Arbeit fortsetzen, das Sparpaket verabschieden. Fragen nach seinem Führungsanspruch bügelt er schmunzelnd ab. Er ist seit Jahren Carstensens Kronprinz, könnte in drei Wochen den Parteivorsitz übernehmen und anstelle des amtsmüden Ministerpräsidenten in die Neuwahl ziehen.

Vor der Gerichtstür tobt derweil der Streit um den richtigen Wahltermin. CDU und FDP möchten sich dem Wähler möglichst spät stellen, SPD, Grüne, Linke und SSW denkbar früh. Einig sind sich dabei alle Parteien darin, dass es ihnen nur um die Demokratie und keinesfalls um die Umfragewerte und damit die eigenen Wahlchancen geht. Der ehemalige Minister Döring ist mit dem Gericht zufrieden, die Watsche für das Wahlrecht sei irgendwie typisch für die Landespolitik: "Schleswig-Holstein ist eben immer gut für eine Polit-Geschichte."