Das Gericht sieht einen Verfassungsverstoß. Peter Harry Carstensen gibt den CDU-Landesvorsitz auf.

Schleswig. Für Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und seine schwarz-gelbe Koalition ist es eine juristische Ohrfeige: Das Landesverfassungsgericht hat gestern eine Neuwahl in Schleswig-Holstein spätestens im Herbst 2012 angeordnet - zwei Jahre früher als der reguläre Wahltermin. In Kiel wird damit gerechnet, dass sich Carstensens politische Karriere jetzt dem Ende zuneigt. Gestern am späten Abend gab der 63-Jährige bekannt, er werde beim Parteitag am 18. September nicht erneut als CDU-Landeschef kandidieren. Sein Nachfolger soll Fraktionschef Christian von Boetticher werden. Ministerpräsident will Carstensen aber zunächst bleiben. Seine Koalition verfügt nur über eine Einstimmenmehrheit.

Das Verfassungsgericht in Schleswig kam gestern einstimmig zu dem Ergebnis, dass das Wahlrecht mit der Landesverfassung nicht vereinbar sei. Bei der Landtagswahl vor knapp einem Jahr hatten CDU und FDP zusammen etwa 27 000 Stimmen weniger erhalten als SPD, Grüne und die Dänen-Partei SSW. Da die CDU viele Wahlkreise direkt eroberte, fielen elf Überhangmandate an. Aufgrund von Besonderheiten im Wahlrecht bekamen die anderen Parteien aber nur für einen Teil davon Ausgleichsmandate. Das Gericht monierte, dass im Wahlgesetz zu viele Wahlkreise vorgesehen seien mit dem Risiko vieler Überhangmandate. Der Landtag muss deshalb bis zum 31. Mai 2011 das Wahlrecht ändern und bis zum 30. September 2012 die Bürger vorzeitig an die Urnen rufen. Bis dahin, so das Gericht, habe das Parlament die "volle Arbeits- und Handlungsfähigkeit".

Carstensen kündigte an, die Regierungskoalition werde wie geplant im Dezember den Sparhaushalt beschließen und bis zu einer Neuwahl regieren. "Ich glaube, dass wir das politisch durchhalten", sagte der 63-Jährige. Ob er bei der nächsten Wahl erneut als Spitzenkandidat antritt, ließ Carstensen offen. "Diese Frage stellt sich derzeit nicht." In der CDU wird erwartet, dass Carstensen sich schrittweise zurückzieht. Der designierte Landeschef von Boetticher könnte in spätestens zwei Jahren auch Ministerpräsident und Spitzenkandidat werden.

Carstensen sagte, September 2012 sei ein guter Wahltermin. Rückendeckung bekam er von FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. "Ich bin guten Mutes, dass Schwarz-Gelb in zwei Jahren eine Mehrheit bekommt." Die Opposition hielt dagegen. "Die schwarz-gelbe Regierung ist jetzt auch verfassungspolitisch am Ende", sagte SPD-Chef Ralf Stegner. Er hält eine Neuwahl bereits vor Sommer 2012 für möglich.

Grüne und SSW, die in Schleswig geklagt hatten, mahnten zur Eile. Grünen-Fraktionschef Robert Habeck forderte - wie auch die Linkspartei - eine Wahl schon im Herbst 2011, gab sich aber nicht sehr optimistisch. Schwarz-Gelb werde angesichts der schlechten Umfragen auf Zeit spielen.

Druck bekam die Koalition auch aus der Wirtschaft. Die Unternehmensverbände Nord mahnten CDU und FDP: "Einen Zweijahreswahlkampf kann Schleswig-Holstein sich nicht leisten." Bei Verfassungsrechtlern lösten die Urteile Verwunderung aus. Der Hamburger Jurist Ulrich Karpen nannte es "ungewöhnlich", dass ein Gericht einen Termin für Neuwahlen festlege und so die Wahlperiode um zwei Jahre verkürze. "Das Auflösungsrecht liegt normalerweise beim Parlament." Bundesweit einzigartig ist die Schleswiger Entscheidung nicht. Das Hamburger Verfassungsgericht hatte 2003 wegen Fehlern bei der Aufstellung von CDU-Listen sogar eine umgehende Neuwahl der Bürgerschaft angeordnet.