Vor allem junge Leute strömten zur Siegessäule. Doch es war nicht die kreischende Spaßgesellschaft der WM.

Berlin. Wir zitieren hier mal Bernd Schwarz aus Wilmersdorf. Sich auf der Straße des 17. Juni umguckend, auf der die Menge zur Siegessäule strömte, meinte Schwarz gestern Abend trocken: "Die Berliner rennen eigentlich überall hin." Stimmt. Obwohl man morgens ja noch heftig gezweifelt hatte, ob es wirklich voll werden würde an der Siegesssäule.

Zu jedermanns Überraschung war es dann proppenvoll. Und wenn es gestern ein Gemeinschaftsgefühl gab, dann das, dass die Berliner ihre Freundschaft mit den Amerikanern gerne wiederbeleben würden. Mit wahrer Herzlichkeit. Deshalb haben sich gestern mehr als 200 000 auf den Weg in den Tiergarten gemacht. Es waren zu neunzig Prozent junge Leute, aber es war nicht die kreischend laute Spaßgesellschaft der WM. Die meisten wollten sich den Senator einfach mal persönlich ansehen.

Ein Gefühl für den Mann aus Illinois kriegen. "Unglaublich", meinte Valentin, der sein Geld mit einem Fahrradtaxi verdient, "jeder Zehnte hat ihm applaudiert!" Und während seine Freunde noch skeptisch diskutierten, wie liberal Obama denn wohl wirklich sei, meinte Bernd Schwarz knapp: "Eins wird ihn schon mal grundsätzlich von seinem Vorgänger unterscheiden, sollte er tatsächlich Präsident werden: Er ist intelligent und gebildet."

Natürlich hat es gestern auch alle Amerikaner magnetisch in den Tiergarten gezogen, die gerade in der Stadt waren. Leute wie Richard Reens. Einen Fernsehproduzenten aus Los Angeles, der Obama hingerissen mit Kennedy verglich, aber keine Prognose für die Wahl abgeben wollte. "Wir sind schon zweimal aus allen Wolken gefallen - wir haben zweimal erlebt, dass Bush gewählt wurde." Und Menschen wie Arline Polinsky aus Columbia/South Carolina, die sich fassungslos den Menschenstrom anschaute und sagte: "Was für eine Stadt!"

Sie wollen jetzt mehr sehen? Hier geht’s zum Videoportal

Tja, was für eine Stadt. Eine Stadt, in der sich George W. Bush aus Angst vor ungemütlichen Demonstranten zuletzt gar nicht mehr öffentlich zu zeigen wagte.

In dieser Stadt bewegte sich Barack Obama gestern völlig frei. Die Gäste im Hotel Ritz Carlton trauten mittags ihren Augen nicht, als ihnen der Senator in der Lobby lässig zuwinkte. Da war er in T-Shirt, Trainingshosen und Turnschuhen unterwegs, um nach seinen Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Muckibude vom Ritz (die man dort "Complete Fitness Center with State-of-the-art equipment" nennt) ein bisschen Sport zu machen.

Abgestiegen war Obama allerdings im Adlon-Hotel am Pariser Platz. Also am Brandenburger Tor, das die Kameras gestern Abend mit der Menschenmenge immer wieder so fotogen ins Bild rückten. Das Adlon hatte gestern Mittag eine kleine Krise erlebt, als ein Päckchen für den Senator abgegeben wurde. Die umgehend alarmierte Polizei rückte mit Sprengstoffexperten an, musste aber schnell feststellen, dass es sich bei dem Päckchen nur um die Obama-Biografie "Der schwarze Kennedy" handelte, die der Absender signiert zurückhaben wollte. Er hatte sogar das Rückporto beigelegt. Das war vielleicht naiv, aber irgendwie auch unglaublich nett. Und irgendwie normal. Seitens der Polizei hieß es allerdings genervt, "von dieser Art der Kontaktaufnahme" könne man nur dringend abraten.

Davon abgesehen hatten die Ordnungskräfte gestern keine Mühe. Das Ganze erinnere ihn sehr an die gelassene Atmosphäre bei großen Popkonzerten, meinte Polizeisprecher Michael Bensch. Und fügte mit Blick auf die Menschenmenge hinzu: "Das ist schon stark."

Filme zu Obamas Wahlkampftour