Vor 45 Jahren sprach Präsident John F. Kennedy in Berlin, jetzt Barack Obama. Zwei Abendblatt-Mitarbeiter bewerten den gestrigen Auftritt. Der eine...

Vor 45 Jahren sprach Präsident John F. Kennedy in Berlin, jetzt Barack Obama. Zwei Abendblatt-Mitarbeiter bewerten den gestrigen Auftritt. Der eine mit persönlicher Erinnerung an Kennedy, die andere aus der Sicht der jungen Generation, die Obama besonders anspricht.

Cool und kalkuliert

Charmant, charismatisch, cool - und kalkuliert, dass er bei seinem hochstilisierten Wahlkampfauftritt auf der Fanmeile an der Siegessäule auch genauso wirkt. Ein perfekter Polit-Popstar - und offensichtlich gehört es inzwischen zur "Eventkultur", ihn live zu bejubeln, ganz gleich, was er sagt. Seine Rede? Der verbale Brückenschlag von der Luftbrücke bis heute ist handwerklich gut, aber für Jüngere wenig berührend. Obama punktet, weil er "das andere Amerika" verkörpert. Weil er mehr Dynamik für die durch den Irak-Krieg angeknackste transatlantische Freundschaft verspricht. Die Sympathien der jüngeren Generationen sind getragen von der Sehnsucht nach einem Amerika, das sich um globale Probleme wie den Klimaschutz kümmert und als große Demokratie bürgerliche Freiheiten hochhält. Obama steht für Wandel. Ob der beginnt, zeigt sich ab November. Wenn er denn Präsident wird, der Bewerber. (Vanessa Seifert)

Gänsehaut blieb aus

Es war keine "historische Rede", wie von vielen erwartet, kein "Berliner Signal", wie von Weizsäcker gefordert. Aber sie war eine geschickte Rede, weil sie sich auch der Berliner und ihrer jüngsten Geschichte annahm, weil sie - "wir können nicht alle Probleme allein lösen!" - den Europäern klarmachte, was von ihnen künftig verlangt werden könnte. Vom Stuhl gerissen hat sie aber wohl nur wenige: kein Feuer, auch kein "Kennedy-Feeling". Keine Gänsehaut, wie damals am 26. Juni 1963, als ich als Reisebegleiter jenes charismatischen US-Präsidenten schräg hinter ihm auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses stand und die "Kennedy! Kennedy!"-Schreie wie ein Tornado gegen den Hoffnungsträger aus den fernen USA brandeten. Sollte der US-Präsidentschaftsbewerber 2008 angesichts der "Obama, Obama"-Rufe der jungen Berliner an diese historische Szene gedacht haben, wird er wissen, was die Geschichte von ihm erwartet. (Günter Stiller)