Kommentar

Ein Mensch, der an sich und der Welt leidet, der sucht sich in der Hoffnung auf Besserung mitunter einen guten Seelsorger. Eine Partei macht das anders. Die SPD hat sich jetzt einen neuen Vorsitzenden gewählt und feiert ihn so enthusiastisch, als könnte er Wunder wirken. Man darf Franz Müntefering eine Menge zutrauen. Doch Wunder wirken kann auch er nicht.

Außerdem sind es ganz unterschiedliche und teils einander völlig widersprechende Erwartungen, die der nüchterne Sauerländer erfüllen soll. Die einen setzen darauf, dass er den umstrittenen Reformkurs, den Gerhard Schröder als Kanzler und SPD-Chef eingeleitet hat, konsequent weiter vorantreibt und keinen Millimeter davon abweicht. Andere Genossen erwarten von Müntefering das genaue Gegenteil. Der Mann steht also vor einer kaum lösbaren Aufgabe, um die er trotz seiner Machtfülle und trotz aller Vorschusslorbeeren wahrlich nicht zu beneiden ist.

Müntefering hat sich klar festgelegt: Er steht zu Schröder, steht vor allem aber uneingeschränkt zu jenem Reformkurs, der die SPD in ihre tiefe Sinnkrise gestürzt und das Verhältnis zu den Gewerkschaften in einen Zustand schleichender Zerrüttung gebracht hat. Die Gegner und Kritiker von Schröders Reformen innerhalb wie außerhalb der SPD stören sich jedoch an den Inhalten dieser Politik und viel weniger an der Verpackung und am Ton, in dem für sie geworben wird. Wenn Müntefering an den Inhalten aber nichts ändern will, könnte er mit seiner Überzeugungsarbeit also schnell an Grenzen stoßen. Er wird deshalb vor allem an den Macht- und Selbsterhaltungstrieb der SPD appellieren müssen. Wenn sich nennenswerte Teile der Partei weiterhin als Opposition zur eigenen Führung und Regierung begreifen, dann wird der Niedergang der SPD nicht aufzuhalten sein, auch nicht von Franz Müntefering.