Franz Münteferings Appell an die Genossen

"Es geht darum, dass die deutsche Sozialdemokratie auf der Höhe der Zeit ist. Da geht es um die Frage des Sich-ehrlich-Machens, um die Frage, wie es denn eigentlich um die Politik, um die Gesellschaft in Deutschland, in Europa und in der Welt steht. Die Welt ist kleiner geworden. Es gibt nicht nur eine Antwort. Die Globalisierung führt dazu, dass es Wohlstand gibt, dass es Freizügigkeit gibt, dass es an manchen Stellen in der Welt mehr Demokratie gibt. Aber diese Globalisierung führt auch zur Dominanz der internationalen Kapitalmärkte, sie reduziert die Handlungsmöglichkeiten der nationalen Regierungen. Es geht darum, dass wir alle uns bewusst sind, dass die Wirtschaft für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Das ist sozialdemokratische Position in Deutschland und international. ( . . . )

Wir sind uns darüber klar, dass diese Gesellschaft in einer Phase der Orientierung ist, dass viele Sicherheiten, die es über Jahre und Jahrzehnte gegeben hat, so nicht mehr da sind, und dass uns Autoritäten fehlen, die Orientierung geben. Wir sind alle suchend. Aber wir müssen als Partei den Mut haben, in dieser Gesellschaft eine Debatte unter der Überschrift zu beginnen: Wohin soll die Reise gehen? ( . . . )

Ich will keine ruhige Partei. Kontroverse ist gut. Wir müssen auch Streitkultur haben. Aber wir brauchen auch das klare Bewusstsein: Wenn entschieden ist, muss man entschlossen und geschlossen handeln. Anders ist Politik nicht möglich. Wir müssen die Politik der Agenda 2010 gemeinsam hinbekommen. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass soziale Gerechtigkeit und Wohlstand für alle in Deutschland möglich sind. Die Chancen sind da. Die wollen wir nutzen. Was wir heute investieren, das zahlt sich in zehn, 15, 20 Jahren aus. Wer für die Zukunft plant, darf nicht nur die neuesten und größten Maschinen kaufen, der muss auch dafür sorgen, dass die Menschen, die er ebenfalls braucht, rechtzeitig Ausbildung und Qualifizierung erhalten. ( . . . )

In zwei Jahren wollen wir wieder ganz vorne sein. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Es gibt auf der Strecke bis dahin viele Wahlen. Wir werden kämpfen müssen. Wer gewinnen will, muss gewinnen wollen."