Werner Thissen kritisiert den Beschluss des Vatikans, einen Holocaust-Leugner zu rehabilitieren. Er fürchtet einen Vertrauensverlust für die Kirche.

Hamburg. Abendblatt:

Herr Erzbischof, der Papst hat einen Holocaust-Leugner rehabilitiert. War das eine gute Entscheidung?

Thissen:

Einen Holocaust-Leugner zu rehabilitieren ist immer eine schlechte Entscheidung. Aber das hat der Papst nicht gewollt. Er wollte die Kluft zu den Traditionalisten überbrücken. Er sieht seinen Dienst als Dienst an der Einheit der Kirche. Dass das Bemühen des Papstes mit den unsäglichen Äußerungen des Bischofs Williamson zusammenfällt, ist furchtbar.



Abendblatt:

Ihr Amtsbruder, Bischof Gebhard Fürst, fürchtet dennoch einen Vertrauensverlust der Kirche.

Thissen:

Den befürchte ich auch. Es hätte nicht passieren dürfen, dass das Gute, also die Sorge um die Einheit der Kirche, mit dem Schlechten, nämlich die Debatte um einen Holocaust-Leugner, in Verbindung gebracht wird. Das ist ganz klar ein Vertrauensverlust.



Abendblatt:

Ist der Papst zu unbekümmert mit dem Thema umgegangen?

Thissen:

Schwer zu sagen. Der Papst hat immer dieses Hauptziel vor Augen: die Einheit. Der Schaden, dass ein Holocaust-Leugner unter den Rehabilitierten ist, ist groß.



Abendblatt:

War es richtig, die Rehabilitierung der vier traditionalistischen Bischöfe ohne Auflagen zu vollziehen?

Thissen:

Ich weiß nicht, ob es so ist. Man müsste jetzt klären, was da an internen Gesprächen vorausgegangen ist.



Abendblatt:

Kardinal Lehmann sagt, man hätte sich im Umfeld des Papstes durchaus ein Bild von Williamson machen können. Hätte der Papst sich nicht auch selbst ein Bild von Williamson machen können?

Thissen:

Man hätte sich nicht nur ein Bild machen können, sogar müssen. Ob der Papst direkt oder seine Mitarbeiter, darüber kann man streiten. Klar ist: Es hätte geklärt werden müssen, was die Meinung Williamsons ist. Es hätte auf jeden Fall besser recherchiert werden müssen.



Abendblatt:

War die Meinung Williamsons nicht hinlänglich bekannt?

Thissen:

Das ist ja das Fatale. Der zuständige Kardinal hat gesagt, er habe es nicht gewusst. Er hätte es aber wissen müssen. Da ist schlampig gearbeitet worden.



Abendblatt:

War der Papst falsch beraten?

Thissen:

Er war zumindest zu wenig beraten. Er hätte von seinen Beratern hören müssen: Bevor der Bischof Williamson rehabilitiert wird, muss er seine unsäglichen Äußerungen zurücknehmen.



Abendblatt:

Könnte der Papst die Rehabilitierung rückgängig machen?

Thissen:

Das weiß ich nicht. Dass in Hinblick auf Williamson nachgearbeitet werden muss, halte ich für sicher.



Abendblatt:

Welche Signale muss der Papst jetzt senden?

Thissen:

Der Papst hat nach dem Eklat sofort reagiert. Er hat deutlich gemacht: Die Rehabilitierung ändert nichts an der Zustimmung zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Zweitens: Es ändert sich nichts an dem Verhältnis zu den Juden. Drittens: Es verändert sich nichts an dem Verhältnis zur Ökumene. Dass dennoch alle drei Bereiche faktisch Schaden erlitten haben, das wird der Papst merken.



Abendblatt:

Wenn der Papst Sie in dieser Situation um einen Rat bitten würde, welchen würden Sie ihm geben?

Thissen:

Das ist reichlich theoretisch ...



Abendblatt:

... aber denkbar!

Thissen:

Ja, es ist denkbar. Ich würde ihm danken, dass er bereits so deutlich Stellung genommen hat. Ich würde ihm raten: Lieber Papst Benedikt, guck, was du für Mitarbeiter hast, damit du immer gut beraten bist!



Abendblatt:

Werden Sie gegenüber den Katholiken im Erzbistum Hamburg auch dazu Stellung beziehen?

Thissen:

Ja, ich werde in jedem Falle dazu deutlich Stellung beziehen, wenn wir mit unseren Räten zusammen sind. Die ganze Angelegenheit ist sehr bedrückend für die katholische Kirche. Wir hoffen, wir können den Schaden aus der Welt schaffen.



Abendblatt:

Sehen Sie denn bei den Anhängern der Pius-Bruderschaft auch den Willen, Brücken zu bauen?

Thissen:

Das Vorgehen des Papstes ist eine deutlich ausgestreckte Hand, in der Erwartung, dass diese Hand angenommen wird. Damit werden deutliche Zugeständnisse der anderen Seite erwartet.



Abendblatt:

Haben Sie Reaktionen aus der jüdischen Gemeinde erhalten?

Thissen:

Nein, noch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass es da Verstörungen gibt. Ich hoffe, dass wir diese Verstörungen bald aufarbeiten können. Uns verbindet viel mit den Juden.