Präsident Hamid Karsai muss eine Stuichwahl fürchten. Die Europäer streiten um eine neue Afghanistan-Konferenz.

Kabul/Brüssel. Bei der Präsidentschaftswahl in Afghanistan sind nach Angaben der EU-Wahlbeobachter möglicherweise mehr als ein Viertel der Stimmen gefälscht worden. Betroffen seien 1,5 Millionen Stimmen, sagte die stellvertretende Missionschefin Dimitra Ioannou in Kabul. Darauf entfielen 1,1 Millionen Stimmen auf Amtsinhaber Hamid Karsai, der nach bisheriger Auszählung klar in Führung liegt. Wegen zahlreicher Betrugsvorwürfe müssen ohnehin die Stimmen in rund zehn Prozent der Wahllokale neu ausgezählt werden. Das erklärte ein Sprecher der von den Vereinten Nationen (Uno) unterstützten Wahlbeschwerdekommission. Die Wiederholung der Auszählung betreffe etwas mehr als 2500 von 26 300 Wahllokalen, sagte Grant Kippen. Die Neuauszählung könnte dazu führen, dass doch noch eine Stichwahl angesetzt wird.

Sollte die Neuauszählung ergeben, dass Karsai weniger als die Hälfte der abgegeben Stimmen erhalten hat, so müsste er in einer Stichwahl gegen seinen stärksten Herausforderer Abdullah Abdullah antreten. Von der Neuauszählung betroffen sind alle Wahllokale, in denen die Beteiligung bei 100 Prozent lag oder in denen ein Kandidat mehr als 95 Prozent der gültigen Stimmen erhielt. Wie viel Zeit das in Anspruch nehmen wird, ist nicht bekannt. Kippen deutete aber an, dass wochenlange Arbeit nötig sei. Besonders betroffen sind Stimmlokale in Süden Afghanistans, wo Karsai seine Basis hat. Nach der Wahl waren Hunderte Beschwerden über mögliche Unregelmäßigkeiten eingegangen.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich besorgt über die Betrugsvorwürfe. Beim EU-Außenministertreffen in Brüssel forderte er rasche Aufklärung: „Es muss das Interesse des afghanischen Staates sein, dass der neu gewählte Präsident Akzeptanz findet in ganz Afghanistan. Deshalb muss den Vorwürfen nachgegangen werden, und das so schnell wie möglich. Bei seinen EU-Kollegen warb Steinmeier für eine Neuausrichtung der Afghanistan-Politik. Wenn der Sieger der Präsidentschaftswahl endgültig feststehe, müsse die internationale Gemeinschaft mit der Regierung in Kabul neue Absprachen treffen. Nötig sei „eine klare Vereinbarung darüber, welche Ziele wir in welchen Zeitabschnitten wollen“.

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft kritisierte die deutsch-französisch-britische Forderung nach einer weiteren Afghanistan-Konferenz. „Unter allen Problemen, die Afghanistan hat, ist ein Mangel an internationalen Konferenzen sicher nicht die Nummer eins“, erklärte Außenminister Carl Bildt. Sollte eine Konferenz stattfinden, so hielte er die afghanische Hauptstadt Kabul für den besten Austragungsort. Auch EU-Kommissar Olli Rehn erklärte: „Kabul wäre die bevorzugte Wahl, weil das ein politisches Signal für die Fortschritte bei der Stabilisierung Afghanistans wäre."