Im Streit um einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat Wolfgang Ischinger einen Diskurs über Ziele des Nato-Einsatzes angemahnt.

Hamburg. "Ich habe Verständnis dafür, dass man den Bundestagswahlkampf nicht permanent mit der Afghanistan-Debatte belasten wollte", sagte Ischinger dem Abendblatt. Allerdings müsse man die Kriterien für Ziele, Erfolg und Abzugsvoraussetzungen klar festlegen.

Der Sicherheitsexperte plädierte dafür, diese Kriterien "so bescheiden wie möglich" zu formulieren. "Es kann nicht Voraussetzung für einen Abzug sein, dass in Afghanistan dauerhaft demokratische Strukturen herrschen", sagte Ischinger. Eines der Ziele könnte aber sein, eine Rückkehr der al-Qaida zu verhindern und eine bestimmte Zahl einsatzfähiger afghanischer Soldaten und Polizisten aufzustellen. Der Sicherheitsexperte warnte zugleich vor Planungen, ein bestimmtes Rechtssystem zu etablieren: "Damit übernehmen wir uns. Wir werden dieses Land nicht zu einem anderen Land machen können." Die Bundesregierung habe recht, wenn sie kein Abzugsdatum nennen wolle. Ischinger sagte aber, er würde es vorziehen, in fünf statt in zehn Jahren aus Afghanistan abzuziehen.

Nach den Worten Ischingers war und ist die Aussage von SPD-Fraktionschef Peter Struck, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, zwar richtig, sie habe aber "keinen Ewigkeitswert". Die Bundesregierung müsse dies fortlaufend überprüfen. Über Jahre sei das Bündnis bei der Beschreibung der Ziele und der Gründe des Afghanistan-Einsatzes "herumgeeiert". So sei lange nicht klar genug gesagt worden, "warum wir vor Ort sind und wie lange wir da sein müssen". Das sei einer der Gründe, warum der Einsatz in der Bevölkerung derart unbeliebt ist. "Soldaten sind dazu ausgebildet, das Land mit militärischen Mitteln zu verteidigen", sagte Ischinger. "Aber Teile der deutschen Politik waren nur bereit, den Afghanistan-Einsatz verbrämt mit einem Pfadfindersiegel zu billigen." Inzwischen habe es allgemein eine "Lernkurve" gegeben.

Als Erfolg wertete Ischinger die Wahl eines neuen Präsidenten in Afghanistan. "Die Tatsache, dass eine Wahl stattgefunden hat, ist - wenn sie unter vertretbaren Umständen zu Ende geht - allemal besser als gar keine Wahl." Der Sicherheitsexperte schloss nicht aus, dass es Manipulationen gebe. "Es wird in Afghanistan garantiert nicht nach denselben Kriterien zugehen wie in Hamburg oder Berlin", sagte er. "Aber das kann auch niemand erwarten." Es müsse akzeptiert werden, dass die kulturellen Umstände am Hindukusch andere seien. Ischinger räumte ein, dass sich der alte und wahrscheinlich auch neue Präsident Hamid Karsai nicht als der vom Westen erhoffte umfassende Stabilisierungsfaktor erwiesen habe. Allerdings könne man sich seine Partnerregierungen nirgendwo selbst aussuchen. "Wahlen", so Ischinger, "sind auch kein Allheilmittel."