Kim Jong Un, der Sohn des verstorbenen Machthabers Kim Jong Il, ist in Pjöngjang zum “obersten Führer“ Nordkoreas ausgerufen worden.

Pjöngjang. Nordkorea hat einen neuen "obersten Führer": Kim Jong Un. Im Zuge der Trauerfeier ist der Sohn des verstorbenen Machthabers Kim Jong Il zum "obersten Führer" der Partei der Streitkräfte und des Volkes ausgerufen worden. Kim Jong Un selbst zeigte sich in Pjöngjang am Donnerstag schweigend und mit gebeugtem Haupt auf einem Balkon der Öffentlichkeit. Der als politisch unerfahren geltende Junior ließ dafür andere reden. Flankiert wurde er dabei von wichtigen Militär- und Parteigrößen. Drei Schweigeminuten beendeten die Zeremonien vor hunderttausenden Menschen.

Nordkoreas Führungselite stellte sich bei der Trauerfeier wie schon am Mittwoch hinter Kim Jong Un und würdigte zugleich erneut dessen Vater. "Die Tatsache, dass er die Frage der Nachfolge vollständig gelöst hat, ist eine der vornehmsten Errungenschaften des großen Kameraden Kim Jong Il“, sagte Kim Yong Nam, Präsident des Präsidiums der Obersten Volksversammlung vor den Hunderttausenden, die sich auf dem zentralen Kim-Il-Sung-Platz versammelt hatten.

Nach Einschätzung von Beobachtern ist die Frage des Machtwechsels in Nordkorea nur noch Formsache. Die Zeremonie am Donnerstag sei dazu da gewesen, den Status Kim Jong Uns „öffentlich zu bestätigen und zu festigen“, sagte Jeung Young-tae vom südkoreanischen Institut für die Nationale Einigung in Seoul. De facto sei der jüngste Sohn des verstorbenen Machthabers bereits Führer der Partei, der Streitkräfte und des Landes. "Kim Jong Il hat einen roten Seidenteppich ausgelegt, und Kim Jong Un muss nur noch darauf laufen“, sagte Jeung.

Ein Kurswechsel in absehbarer Zeit wird nicht erwartet. Die Staatsmedien hatten bereits während der Trauerzeit keinen Zweifel daran gelassen, dass Nordkorea an der Politik Kim Jong Ils festhalten wird, die dem Militär eine Vorrangstellung einräumt. Zusammen mit der sogenannten Juche-Ideologie, die die Selbstständigkeit des Landes betont, bildet diese Militärdoktrin einen Grundpfeiler in der Politik des verarmten, aber hoch gerüsteten Landes.

Mit auf dem Balkon oberhalb des Kim-Il-Sung-Platzes stand am Donnerstag auch Kim Jong Ils jüngere Schwester, Kim Kyong Hui. Es wird erwartet, dass auch sie künftig gemeinsam mit ihrem Mann Jang Song-thaek den künftigen Führer bei der Konsolidierung der Macht unterstützen und die Interessen der Herrscherfamilie wahren wird. Zu der kleinen Gruppe mächtiger Schlüsselfiguren um Kim Jong Un wird unter anderem Armeechef Ri Yong Ho gezählt. Die beiden anderen Söhne des Verstorbenen, Kim Jong Nam und Kim Jong Chol, traten bei der Zeremonie am Donnerstag wie schon am Vortag nicht öffentlich in Erscheinung.

Kim Jong Un wurde in einer Ansprache als "oberster Führer der Partei, des Militärs und des Landes“ bezeichnet, der "Ideologie, Führung, Persönlichkeit, Tugend, Charakterstärke und Mut“ seines Vaters geerbt habe. Der ranghohe General Kim Jong Gak nannte Kim Jong Un zudem den "obersten Führer unserer revolutionären Streitkräfte“.

Erste Einblicke in die Pläne der neuen Führung erhofft man sich von den Neujahrs-Leitartikeln der Staatspresse, in denen in der Vergangenheit die politischen und wirtschaftspolitischen Ziele des neuen Jahres umrissen worden waren. Für Nordkorea ist 2012 ein wichtiges Jahr. Am 15. April ist der 100. Geburtstag des noch immer als gottgleich verehrten früheren Staatschefs und Vaters von Kim Jong Il, Kim Il Sung.

Sein Sohn hatte deshalb ursprünglich das Ziel ausgegeben, 2012 aus Nordkorea ein „starkes und wohlhabendes“ Land zu machen. Ohne Reformen dürfte es nach Ansicht von Beobachtern für seinen Sohn allerdings schwierig sein, die Pläne umzusetzen.

"Ich denke, Kim Jong Un wird am Ende dem wirtschaftlichen Druck nicht standhalten“, meint etwa der südkoreanische Ökonom Yang Un Chul vom Sejong-Institut. Auch die internationalen Sanktionen gegen Pjöngjang wegen seiner umstrittenen Atom- und Raketenprogramme machten dem Staat zu schaffen. "Nordkoreas Planwirtschaft ist gescheitert“, sagt der Ökonom. Kim Jong Un könnte zu Reformen bereit sein. Klar sei das nicht.

Eine Öffnung des Landes wäre der einzige Weg für Nordkorea, um das Leben der Menschen zu verbessern, sagt Choi Sung Min, der erst im vergangenen Sommer aus seiner Heimat Nordkorea nach Südkorea geflüchtet war. Allerdings habe Nordkorea zuletzt seine Kontrolle über die Bürger wieder verstärkt

Das Leben in Pjöngjang kam am Donnerstag weitgehend zum Stillstand, als die Menschen am zweiten Tag der Gedenkveranstaltungen die großen Plätze der Hauptstadt füllten. Die Trauerzeremonie begann mit einem stillen Gedenken an den Mann, der seine 24 Millionen Untertanen seit seiner Machtübernahme im Jahr 1994 mit eiserner Hand führte. Auf dem Kim-Il-Sung-Platz waren vor allem auch Soldaten versammelt.

Zum Ende der Trauerfeiern wurden Salutschüsse abgefeuert. Anschließend verbeugten sich Arbeiter, Bürger, Kinder und Soldaten drei Minuten lang in Gedenken an Kim Jong Il, während die Signale von Zügen und Schiffen ertönten. Das Staatsfernsehen zeigte Aufnahmen von Menschen, die außerhalb ihrer Arbeitsplätze, auf Gehwegen oder auf öffentlichen Plätzen unter riesigen Porträts von Kim Jong Il standen.

Kim Jong Il verstarb nach Angaben nordkoreanischer Medien am 17. Dezember im Alter von 69 Jahren an einem Herzinfarkt. Die Macht hatte er 1994 nach dem Tod seines Vaters übernommen. Wirtschaftlich führte er das Land in seiner Regierungszeit an den Abgrund und mit seinem umstrittenen Atomprogramm zudem in die internationale Isolierung. Auch für den Vater wurde damals ein pompöser Trauerzug durch Pjöngjang inszeniert. (abendblatt.de/dapd/dpa)