Nach dem Tod des Diktators Kim Jong-il soll zum zweiten Mal in dem kommunistischen Land die Macht auf den Sohn übergeben werden.

Das Jahr 2012 sollte für Nordkorea ein ganz besonderes werden: Am 15. April jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des Staatsgründers, des "Großen Führers" und "Ewigen Präsidenten" Kim Il-sung. In diesem Jahr sollten zu Ehren des 1994 gestorbenen Diktators alle wirtschaftlichen und sonstigen Schwierigkeiten überwunden werden, das nordkoreanische Volk endlich einer lichten Zukunft entgegengehen. Zumindest die propagandistische Vorbereitung darauf läuft seit Monaten auf vollen Touren. Und als Höhepunkt war zum 100. von Opa Kim die geordnete Machtübergabe von Sohn Kim Jong-il an den Enkel Kim Jong-un vorgesehen, quasi die Inthronisation Kims III., die glanzvolle und reibungslose Fortsetzung der einzigen kommunistischen Erbmonarchie der Geschichte.

Aber wie meistens scheiterte die Planwirtschaft an der Realität. Der "Geliebte Führer" Kim Jong-il starb bereits am Sonnabend auf einer Inspektionsreise mit dem Zug durch sein bizarres Reich an einem Herzinfarkt. Eine in Trauer gekleidete Ansagerin des Staatsfernsehens sprach mit Tränen in den Augen von körperlicher und geistiger Überarbeitung des 69 Jahre alt gewordenen Machthabers. Richtig daran dürfte mit Sicherheit die Zugfahrt sein. Der paranoide Diktator hatte wie schon sein Vater ausgeprägte Flugangst - und panische Furcht vor Verrat und Attentaten. Auch seine wenigen Auslandsreisen nach China oder Russland absolvierte der "Geliebte Führer" stets im Sonderzug.

Über den tatsächlichen Gesundheitszustands Kim Jong-ils gab es wie über das Meiste im Reiche der Kims nur Vermutungen, denn in Sachen Geheimniskrämerei, Tarnen und Täuschen sowie auf dem Gebiet der Legendenbildung ist Nordkorea unangefochten an der Weltspitze. Die Kreml-Astrologie aus der Zeit des Kalten Krieges, mit der versucht wurde, hinter die undurchdringlichen Kulissen des Moskauer Machtgefüges zu blicken, mutet gegen die Versuche, in die Strukturen des inneren Kreises von Pjöngjang einzudringen, wie eine exakte Wissenschaft an. Selbst südkoreanische Thinktanks, die sich intensiv mit dem unheimlichen Nachbarn beschäftigen und die Informationen von Überläufern auswerten, wissen nicht viel über die Mächtigen hinter und neben den Kims.

Das bettelarme kommunistische Land ist nur reich an Waffen

Nordkorea - Asien fürchtet den unberechenbaren Nachbarn

Nordkoreas Machthaber Kim Jong Il ist tot

Vom Japaner Kenji Fujimoto, der einmal Kim Jong-ils Chefkoch war und darüber ein Buch geschrieben hat, weiß der Rest der Welt zumindest, dass der Despot nicht nur herrschte, sondern auch französischem Cognac, Zigaretten und Frauen besonders zugetan war. Der Oberkommunist war auch alles andere als frei von Eitelkeiten. Seine Haare ließ er sich auffällig locken und toupieren, und die Augen verbarg er meist hinter einer überdimensionierten Sonnenbrille. 2008 soll er einen Schlaganfall erlitten haben. Zumindest gab es im nordkoreanischen Staatsfernsehen seit dieser Zeit keine bewegten Bilder von ihm mehr zu sehen, weil der linke Arm des "Geliebten Führers" nur noch schlaff am Körper herunterhing. Das Volk sollte keine Schwäche erkennen.

Für den Rest der Welt blieb der mittlere Kim der "Verrückte mit der Bombe", ein "Zombie" oder "Dr. Seltsam", der an Nuklearwaffen baut, periodisch Südkorea mit Krieg droht und sich noch immer mit den USA im Krieg wähnt. Der 38. Breitengrad, an dem die koreanische Halbinsel in Nord und Süd geteilt ist, ist die letzte heiße Grenze des Kalten Krieges. Und der Norden denkt bisher nicht daran, irgendwie einzulenken. Vermutlich würde das Terrorregime dann auch zusammenbrechen und die Nomenklatura hätte die Rache des Volkes zu fürchten.

Das muss nämlich die Herrschaft der Kims und ihrer Partei bisher bitter bezahlen: mit Not, Unterdrückung und einer Abschottung vom Rest der Welt, die in der Geschichte nicht ihresgleichen hat. Wer das Land besucht, bekommt gleich am Flughafen in Pjöngjang das Handy abgenommen. Obwohl es hier nur ein eigenes Netz für die höhere Funktionärskaste gibt. Das heimische Fernsehen sendet vormittags und abends vor allem Ansprachen der Führer, patriotische Filme oder Folklorekonzerte. Ausländische Sender können gar nicht erst empfangen werden. Internet? Fehlanzeige. Die Parteizeitung "Rodong Sinmun", die etwa dem Niveau des "Neuen Deutschland" zu DDR-Zeiten entspricht, ist Funktionären vorbehalten. Normale Menschen dürfen sich durch Wandzeitungen "informieren" oder werden mit Propaganda aus ungezählten Lautsprechern berieselt.

Wie alle anderen Ostblockländer stand auch Nordkorea nie in wirtschaftlicher Blüte. Seit aber zu Beginn der 90er-Jahre die Hilfe aus den ehemaligen Bruderstaaten versiegte, ging es weiter steil bergab. Viele Fabriken liegen brach, wenn nicht, stoßen die Schornsteine ungefiltert dunkle Rauchwolken aus. Devisen werden vor allem mit illegalen Waffen- und Drogengeschäften erwirtschaftet. Wenn es diplomatisch eng wird, folgt umgehend die Drohung mit der Bombe oder einem Angriff auf den Süden. Die Landwirtschaft kann die Bevölkerung selbst in guten Jahren kaum ernähren. Nur 20 Prozent der Böden des bergigen Landes sind bebaubar. Als es Mitte der 90er-Jahre neben der Misswirtschaft auch noch Überschwemmungen und harte Winter gab, ließ Kim Jong-il lieber sein Volk hungern, als Hilfe aus dem Ausland anzunehmen. Nach westlichen Schätzungen bezahlte mindestens eine Million Menschen die Unfähigkeit und Sturheit ihrer Führer mit dem Leben.

Auch der letzte Winter war lang und hart. Die Weltgesundheitsorganisation schätzte, dass sechs der 24 Millionen Nordkoreaner akut von Hunger bedroht seien und legte ein Hilfsprogramm auf. Tatsächlich waren im vergangenen März die spärlichen Vorräte bereits aufgebraucht und das meiste Saatgut verdorben. Bei Fahrten übers Land waren abgemagerte und apathische Menschen zu beobachten, die irgendetwas gegen Lebensmittel zu tauschen versuchten, die vom Grund der eiskalten Flüsse Schlamm auf die Felder brachten, um deren Fruchtbarkeit zu steigern. In der Hauptstadt Pjöngjang, in der ohnehin nur zuverlässige Genossen wohnen dürfen, werden immer mehr Balkone mit Maschendraht versehen, um auf ihnen Tauben oder andere Kleintiere zu züchten. Die beiden unteren Etagen der Plattenbauten werden dagegen mit Gittern aus Baustahl gesichert. Die Not kann auch aus noch so disziplinierten und geknechteten Menschen Diebe machen. Strom und Heizung waren im vergangenen Winter nur sporadisch zu bekommen. Kein Spaß, ohne Fahrstuhl und Ofen in bis zu 30 Stockwerken hohen Wohnhäusern zu leben. Und der nächste harte Winter hat bereits begonnen.

In dieser Situation soll nun Kim Jong-un das Zepter übernehmen. Über ihn ist noch weniger bekannt als über seine beiden Vorgänger. Er soll 1983 oder Anfang 1984 zur Welt gekommen sein. Seine Mutter Ko Jong-hui, eine in Japan geborene Koreanerin, war allerdings nie mit Kim Jong-il verheiratet. Sie starb 2004 an Krebs. Ehemalige Mitschüler aus der Schweizer Zeit berichten von Kim Jong-uns Leidenschaft für japanische Comics und Basketball. In einem Berner Internat soll er neben Englisch auch Deutsch gelernt haben. Nach seiner Rückkehr 1998 nach Nordkorea studierte er Militärwissenschaften an der Armeehochschule der Hauptstadt Pjöngjang. Laut Berichten von südkoreanischen Medien und nordkoreanischen Flüchtlingen wurden 2006 erstmals Bilder von Kim Jong-un unter führenden Kadern verteilt. In den folgenden Jahren übernahm er offenbar Aufgaben im Organisationskomitee der Partei, das zuständig ist für die Überwachung der Funktionäre. Seit er im vergangenen Jahr zum Vier-Sterne-General ernannt wurde, galt er als designierter Nachfolger an der Spitze des Partei- und Staatsapparats. Er wurde offenbar auserwählt, das politische Erbe seines Vaters anzutreten, weil die zwei älteren Brüder Kim Jong-uns bei Hofe in Ungnade fielen. Der älteste Sohn, Kim Jong-nam, hatte versucht, mit einem gefälschten Pass nach Japan zu reisen. Der zweitälteste, Kim Jong-chol, soll angeblich zu wenig Härte zeigen.

Gerätselt wird nun, ob Kim Jong-un wirklich bereit ist, die Macht allein zu übernehmen. "Das könnte ein Wendepunkt für Nordkorea sein", mutmaßte gestern der britische Außenminister William Hague. Muss es aber nicht. Denn ein Vorteil für Kim junior dürfte zumindest sein Äußeres sein. Pausbäckig und mit 50er-Jahre-Frisur gleicht er seinem Großvater Kim Il-sung fast aufs Haar. Im Westen wird gerätselt, ob chirurgisch nachgebessert wurde, um den dynastischen Anspruch auch optisch zu unterstreichen. Ausgeschlossen scheint das nicht in einem Land, in dem der Präsidentenpalast des Großvaters kurzerhand in ein Mausoleum umgewandelt wurde, in dem die Untertanen in nicht enden wollenden Reihen am einbalsamierten Leichnam vorbeidefilieren und in dem Personenkult mehr zählt als ein Menschenleben.

Stützen wird sich Kim III. außer auf das Militär und die Partei auch auf die von seinem Opa erfundene Dschutsche-Ideologie, nach der das koreanische Volk ganz allein in der Lage ist, sein Leben und seine Zukunft in den lichten Höhen des Kommunismus zu finden, ganz ohne fremde Hilfe. Nicht einmal den letzten Verbündeten, China, mag man allzu sehr in die eigenen Karten blicken lassen. Peking ist interessiert an den Bodenschätzen des Landes, vor allem an den sogenannten Seltenen Erden, die für elektronische Geräte unentbehrlich sind. Das Riesenreich könnte dem kleinen und verarmten Nachbarn auch eine moderne Infrastruktur aufbauen und die Lebensbedingungen der Bevölkerung rasch verbessern. Doch die Führungsclique in Pjöngjang will weder einen Hauch der eigenen Macht abgeben noch gar eine chinesische Dominanz akzeptieren. Peking wiederum unterstützt den peinlichen Nachbarn nicht nur aus wirtschaftlichen Interessen, sondern auch als Faustpfand in Verhandlungen mit Japan, Russland und den USA. Leidtragende bleiben 24 Millionen von ihrer eigenen Führung als Geiseln genommene Nordkoreaner.