Widerstand der Regimegegner weiter ungebrochen. Gaddafis Truppen scheitern bei Vorstoß im Osten. USA prüfen Militäroptionen.

Bengasi/Tripolis/Istanbul. Truppen des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi versuchen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Erstmals seit Beginn der Unruhen vor zwei Wochen stießen sie am Mittwoch in von Aufständischen gehaltenes Gebiet im Osten des Landes vor. Eine Offensive gegen die Öl-Stadt Al-Brega südlich von Bengasi scheiterte jedoch am erbitterten Widerstand der Regimegegner. Nach wie vor sind tausende Ausländer auf der Flucht aus dem nordafrikanischen Land. Ein Verfahren gegen den Gaddafi-Clan vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird inzwischen immer wahrscheinlicher.

Seit Mittwochnachmittag wird Al-Brega wieder komplett von den Aufständischen kontrolliert, sagte ein Polizeioffizier in der nördlich gelegenen Stadt Bengasi. Bei den Kämpfen seien dort mindestens 20 Menschen getötet worden. Gaddafi-treue Truppen hätten am Morgen die Öl-Anlagen, den Flughafen und mehrere Wohnviertel angegriffen, Kampfjets ein Waffendepot bombardiert. Al-Brega hat einen Öl-Hafen und eine Raffinerie. Luftangriffe wurden auch aus der östlich von Al-Brega gelegenen Stadt Adschdabija gemeldet. Auch hier hätten sich die Aufständischen gegen die regimetreuen Truppen behaupten können. 16 Menschen seien ums Leben gekommen, meldete der Nachrichtensender "Al-Arabija". Am Nachmittag machten sich Aufständische von Bengasi aus auf in Richtung Adschdabija, um ihren Gesinnungsgenossen Beistand zu leisten. Gaddafi ließ sich am Mittwoch von seinen Anhängern in Tripolis bejubeln.

Bei einer Feierstunde zum „34. Jahrestag der Herrschaft des Volkes“ sagte er, die Libyer würden die Öl-Felder „mit Waffen verteidigen“. Hunderte Anhänger applaudierten dem bedrängten Staatschef während seiner mehrstündigen Rede. „Gott, Muammar, Libyen und sonst nichts“, riefen sie. Gaddafi hatte sich 1969 an die Macht geputscht und 1977 die Staatsgewalt formal in die Hand des Volkes gelegt. Bis heute habe das Volk die Macht, „kein Präsident und keine Regierung“, betonte er. Er selbst habe sich nach der Revolution in sein „Zelt“ zurückgezogen. „Ich habe kein Amt, von dem ich zurücktreten kann“, betonte Gaddafi. Nach Ansicht seines Sohnes Saif al-Islam wird schon bald wieder Ordnung in Libyen einkehren. „In zwei Tagen wird alles wieder den gewohnten Gang nehmen“, sagte er der französischen Zeitung „Le Figaro“. Die Situation im Osten sei etwas chaotisch, doch werde auch dort bald Ruhe einkehren, erklärte er weiter.

US-Verteidigungsminister Gates hält ein militärisches Eingreifen in Libyen derzeit kaum für möglich. Es gebe keine Übereinkunft mit der Nato über einen Einsatz von Militär, sagte er am Dienstag in Washington. Die USA wollten nicht in einen Krieg im Nahen Osten ziehen. Der Pentagonchef bekräftigte zwar, dass die USA eine Reihe von Militäroptionen prüften. Doch es sei noch keine Entscheidung gefallen. Alle Optionen über humanitäre Maßnahmen und Evakuierungen hinaus seien „sehr komplex“. Selbst die Einrichtung einer Flugverbotszone wäre mit großem Aufwand verbunden, der zwangsläufig zu militärischen Operationen führen könne. Im UN-Menschenrechtsrat in Genf wurde der Ausschluss Libyens aus dem Gremium mit Genugtuung aufgenommen. Der Rat hatte in der vergangenen Woche eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen, die die UN-Vollversammlung am Dienstag mit großer Mehrheit annahm.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte den UN-Beschluss: „Wer die Menschenrechte in so schrecklicher Weise verletzt, hat keinen Platz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.“ Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wird an diesem Donnerstag Ermittlungen gegen den Gaddafi-Clan wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufnehmen. „Der nächste Schritt für den Staatsanwalt wird darin bestehen, seinen Fall den Richtern des IStGH zu präsentieren, die dann entscheiden, ob auf der Basis des Beweismaterial Haftbefehle ausgestellt werden“, teilte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo mit. Erstmals forderte die EU-Kommission Gaddafi direkt zum Rücktritt auf. Gaddafi sei Teil des Problems und nicht Teil der Lösung, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel. „Es ist Zeit für ihn, zu gehen und sein Land an das libysche Volk zurückzugeben.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Libyen beim Umbruch hilfreich zur Seite stehen. Es gehe vor allem um wirtschaftliche Unterstützung und Hilfe mit Know-how im Norden Afrikas, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. An der libysch-tunesischen Grenze kamen erneut tausende Flüchtlinge an. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellte weitere Zelte in der Region auf. Die EU verdreifachte ihre Soforthilfe auf zehn Millionen Euro. Zudem wurde das gemeinsame Krisenzentrum für Katastrophenschutz (MIC) alarmiert. „Die Lage erfordert eine Antwort der internationalen Gemeinschaft“, sagte Barroso und sprach von einer „humanitären Katastrophe“. Nach jüngsten Schätzungen seien rund 140.000 Menschen auf der Flucht.

Auch Papst Benedikt XVI. ließ sich in Rom über die Lage der Flüchtlinge informieren. Die türkische Regierung hat bislang bereits mehr als 21.500 Menschen aus Libyen herausgeholt. Darunter seien vor allem türkische Staatsbürger, aber auch fast 3000 andere Ausländer, teilte der Krisenstab in Ankara mit.Frankreich schickt Großraumflugzeuge und den Hubschrauberträger „Mistral“ nach Tunesien, um den Flüchtlingen zu helfen. Auch Großbritannien hat nach Aussagen von Premierminister David Cameron mehrere Hilfsflüge nach Tunesien geschickt. Sie sollen 6000 Flüchtlinge ausfliegen Knapp 350 nordafrikanische Flüchtlinge aus Tunesien erreichten in der Nacht zum Mittwoch auch die italienische Insel Lampedusa. Ob es sich bei den Flüchtlingen nur um Tunesier oder auch um geflohen Libyer handelt, war zunächst unklar.

Mitte Februar hatten in nur wenigen Tagen mehr als 5000 Menschen aus Tunesien die Insel erreicht. Eine griechische Fähre mit über 200 Chinesen an Bord erreichte die Hafenstadt Heraklion auf der Insel Kreta. Insgesamt sind nach Angaben der Behörden bislang fast 14.000 Chinesen in Kreta eingetroffen. Aufgrund der unsicheren Lage in den arabischen Ländern kam es an den Aktienmärkten der Region zu Panikverkäufen und Kursstürzen. Die Ratingagentur Fitch stufte die Kreditwürdigkeit Libyens wegen der höchst unsicheren politischen Situation auf Ramschniveau, obwohl das Land über die größten bekannten Ölvorkommen Afrikas verfügt. (dpa)